Es war 1992, als ich eines Tages nach Litauen eingeladen wurde, um meine Bilder auszustellen. Die Zeiten waren schon damals sehr unruhig und an der Grenze zwischen der damaligen Sowjetunion und Polen gab es viele Unruhen und Schießereien.
Mir wurde die Ankunft einer Museumsleiterin mitgeteilt, die kommen wollte, um meine Bilder auszuwählen, die ich schon vorausschicken sollte, damit sie aufgehängt und dekorativ in den Räumen verteilt werden konnten.
Sie kam, es war eine entzückende noch jüngere Person, die aber leider weder englisch, wie man uns sagte, noch deutsch sprechen konnte. Das wurde also eine lustige gemeinsame Begegnung. Ich hatte Essen zubereitet und zum Verständnis zeichneten wir alles auf, was wir uns gegenseitig nicht benennen konnten. Und dabei stellten wir fest, wie viel Spaß wir hatten und wie gern wir miteinander verhandelten, um Bilder auszusuchen.
Es war die Zeit, wo ich viele, fast die meisten Bilder auf Holz malte und die Botschaft meiner Bilder war damals:
Natürliche Struktur – Menschliche Begegnung
Und wenn einige meiner künstlerischen Freunde meine Bilder sahen, meinten sie nur: „Du traust Dich was! Das ist Kitsch.“ Ich aber war so davon überzeugt, dass das positive im Leben uns aufbaut und wir können für eine Weile, in der es uns gut geht, auch das Glück genießen. Zeiten bleiben nicht so… Aber Bilder können uns immer wieder daran erinnern!
Die junge Museumsleiterin zeigte auf fast alle Bilder, die ich rausgeholt hatte und so beschlossen wir, sie einzupacken. „Diese Bilder sind eine Botschaft aus dem Westen.“ Das war der einzige Satz, den sie mir vorlas, weil sie es nicht sagen konnte, aber ihr Auftrag war.
Sie war schon längst wieder in Vilnius, als mein riesiger Holzkasten geliefert wurde und so bauten sie die Ausstellung auf.
Mit Aeroflot nach Vilnius
Wochen später flogen wir nach Vilnius, mussten aber in Moskau aussteigen, um von dort eine Maschine zurück nach Vilnius zu nehmen, was schon sehr befremdlich war. Mit der Aeroflot geflogen zu sein, war ein Abenteuer für sich und ich hoffte nur, wir würden gut in Vilnius ankommen, zumal einer unserer Söhne bei uns war. Schon beim Start wurden wir von oben nass gespritzt, Kondenswasser, aber keinen störte es, scheinbar nur uns. Ich dachte in meiner Panik natürlich sofort an Absturz oder ähnlichem. Quatsch, ich weiß. Und man bot uns Tee an, der in nicht wirklich gereinigten oder neuen Bechern gereicht wurde. Nein Danke!
In Moskau wurden wir mit einem Taxi zu einem anderen Flughafen gebracht und der Fahrer stürzte in jedes Loch auf der Straße, ohne daran zu denken, dass er wohl so schnell bei Unfall kein Ersatzteil bekommen würde. Dann erreichten wir den Flughafen, der aussah wie ein normales Haus. Doch auf dem Platz dahinter konnte ein Flugzeug schon landen. Als wir später in das Flugzeug nach Vilnius einstiegen, gab es keine Kontrolle, wer wo sitzen würde. Menschenmassen drängelten sich ins Flugzeug und meist hatte jeder noch ein Gepäckstück oder wie in meiner Nachbarschaft Hühner und 2 vorlaute Gänse in der Tasche, Korb oder auf dem Arm. Ach, auch einen Hasen gab es noch! Wer keinen Platz mehr bekam, stellte sich in den Mittelgang, der sich ebenso schnell füllte, hielt sich an irgendwelchen Schlaufen fest und so flogen wir los. Der Flug war richtig gut, auch wenn so viele sitzen- und stehende Menschen das Flugzeug rappelvoll machten.
Empfang in Vilnius durch einen jungen Maler und die Dolmetscherin
Wir wurden sehr herzlich empfangen und es gab ein fettiges, öliges Essen. Aber das war egal und wir wussten schon, dass die Russen gerne fett essen… Alles war gut. Und so fuhren wir danach mit einem Pferdewagen durch die Straßen und kamen schließlich nach Kaunas, wo die Ausstellung ein erstes Mal gezeigt werden sollte, wie ich erfuhr und später nochmal im Haus der Kunst.
Die Leute waren alle sehr herzlich und nett und keiner wunderte sich darüber, dass wir über Moskau fliegen mussten „Die ärgern Euch und wenn Ihr schon herkommen wollt, dann müsst Ihr das ertragen. Aber auf dem Rückflug werden wir dafür sorgen, dass Ihr direkt fliegt und nicht wieder über Moskau und dann erst zurück.“
Der junge Maler und seine Frau, die wir später kennen lernten, stellten uns rührender weise ihre Wohnung zur Verfügung und zogen für die eine Woche zurück zu ihren Eltern, brachten uns aber täglich Essen oder verbrachten die Zeit mit uns bei anderen Malerfreunden und weihten uns auch in Geheimnisse ein. Kaunas war zu der damaligen Zeit von den Russen besetzt, die sich untereinander nicht kannten und in diese Stadt geschickt wurden, um für Ordnung zu sorgen. Die Menschen hatten große Angst vor ihnen, denn die jungen Burschen fühlten sich fremd und ausgestoßen und so tranken sie viel Alkohol und torkelten zeitweilig durch die Straßen und waren unberechenbar. Und das Gewehr oder die Pistole nicht weit genug weg.
Wir unsererseits wollten unsere beiden lieben Begleiter auch mal einladen, um irgendwo lecker essen zu gehen und nicht laufend nur die beschenkten zu sein. Arturas, der Maler, sagte lachend: „Ja, ladet uns mal ein. Mal sehen, ob wir was zu essen bekommen!“ Es gab viele Restaurants. Aber alle waren leer. Betraten wir einen Raum, um auf die Speisekarte zu schauen, was es zu essen gab, dann konnten wir bestimmt 10 Gerichte erkennen. Und wenn wir fragten, welches Gericht wir bekommen könnten, sagte man nur, es gäbe nichts. Verstehe einer die Welt. Die Leute machten täglich ihr Restaurant auf, deckten die Tische, legten Speisekarten aus, aber es gab nichts zu essen. Dafür war aber schon die ganze Hauptstraße und einige kleiner Gassen wunderbar erneuert oder restauriert worden und man konnte die ursprüngliche Schönheit an viele Stellen sehen.
Kaunas war auch die alte Hauptstadt
Noch etwas anderes zeigte uns Arturas. Er führte uns weit abseits von der Hauptstrasse in eine Seitengasse. Dort betraten wir ein Haus und gingen da in einen Keller, dann einen langen dunklen Gang weiter, bis wir zu Räumen kamen, die Arturas öffnete. Da standen viele Staffeleien und die Maler waren beim arbeiten. Wir gingen in die weiteren Räume und überall wurde irgendetwas gemacht, das nicht erlaubt war. Einige der Leute sprachen mit uns englisch und wir erfuhren, dass diese ganzen Räume unter der Hauptstraße waren, wo man das tat, was man tun wollte und nicht erwischt werden durfte. Schräge Musik, abstrakte oder auch ergreifende Bilder mit tagtäglichen Problemen, wo man nichts zu essen bekam. Sie hatten dort auch Räume, wo Zeitungen gedruckt wurden und sie alle scharrten mit den Füßen, um endlich frei sein zu dürfen. Litauen im Aufbruch.
Man erzählte uns auch, dass die Russen alle Kirchen zerstört hatten und die Kreuze vergruben oder vernichteten. Und als wir mit unserer Museumsleiterin in ihrem Museum waren, zeigte sie uns eine Ecke, wo schon viele ganz alte Kreuze lagen, die man wieder ausgegraben hatte, um sie heimlich zu restaurieren. Da gab es manch einfaches geschnitztes Kreuz, was nichts wert war. Aber sie sammelte alles, was sie an ihr altes Leben erinnerte.
Und das war kostbar. Es rührte uns sehr.
Meine Ausstellung war auch sehr schön und man hatte alles liebevoll aufgebaut und dekoriert. Zwei kleine Mädchen hatten Blumen gepflückt und sangen uns dreien ein Lied mit Gitarrenbegleitung vor. Alles war so echt und herzerfrischend einfach, dass wir es wirklich genossen.
Die Ansprache des Leiters dort vor Ort war auch bemerkenswert, weil er davon sprach, dass viele meiner Bilder an die alte Ukraine erinnerten.
Die Zeitungen waren voll von meiner Ausstellung, die sehr ernst besprochen wurde. Zwei oder drei Artikel habe ich mir damals übersetzen lassen, als wir wieder in Deutschland waren. Die waren recht gut. Den Rest habe ich nicht gelesen oder übersetzen lassen. Vielleicht waren die schlecht. Keine Ahnung. Für mich war es wichtiger ein Land zu erleben, was die gleichen Werte teilte, die uns wichtig waren. Nur sie waren noch nicht frei.
Man erzählte uns auch, dass mitten in der Stadt auf einem Parkgelände ein Panzer aufgestellt war, der die Menschen an die Sowjets erinnern sollte als ihre Retter. Eines Nachts verabredeten sich viele Leute aus Kaunas und sie schoben diesen schweren Panzer bis vor das Gelände der russischen Soldaten. Und noch in der Nacht fingen sie an und bauten große und kleine Kreuze, setzten sie auf Fundamente, damit man sie nicht gleich rausreißen können sollte. In der Nacht kamen immer mehr Menschen, zündeten Kerzen an und beteten. Arturas nahm uns mit, weil er wollte dass wir das im Westen weitererzählen sollten. (Das habe ich später auch in einem öffentlichen Vortrag getan.)
Es war für uns eine ergreifende Nacht, mit welcher Inbrunst die Menschen die Kerze hielten und sangen oder beteten und auf ein Wunder hofften.
Wir wunderten uns nur, dass kein Soldat einschritt. Vielleicht wagten sie das nicht und die Vorgesetzten hatten noch nicht gesehen, was geschehen war… Aber die Wut der Bevölkerung spürten die jungen Soldaten sicherlich.
Die Stimmung im Land war und blieb gespannt. Und unsere Freunde trafen sich laufend mit anderen, die ebenfalls umstürzlerische Gedanken hatten. Nur, was konnte man tun ohne Geld und ohne Waffen, nur mit dem Zorn im Bauch nicht frei sein zu dürfen. Beten!
Wir flogen am Ende der Woche zurück, tatsächlich direkt von Vilnius nach Berlin. Wie immer unsere Freunde das auch geschafft hatten.
Drei Wochen später erreichte mich ein Telefonat und ich wusste gleich, dass es Arturas war.
Bin Berlin schnell Hamburg, kann helfen mir.“
„Steig in den Zug, komm nach Hamburg, wir holen Dich.“ Er war nicht allein geflohen, sein Freund, der ein paar Brocken Deutsch sprach, übersetzte.
Und dann waren sie bei uns. Sie wollten nach England, denn sie hatten Freunde und Bekannte, die schon vor ihnen dorthin geflüchtet waren. So schliefen sie zwei Tage bei uns, um die Angst ein bisschen loszuwerden, packten Essen ein, weil sie nicht wussten wie lange sie unterwegs sein würden,wir gaben ihnen Geld und baten sie uns wenigstens zu schreiben, wenn sie gut in England angekommen seien. Die rechtliche Seite hatten wir schon für sie geklärt. Das würde alles gut und glatt laufen. Es bahnte sich ja im gesamten Osten ein Umbruch an.
Arturas verklickerte mir noch in Hamburg, dass seine Frau vielleicht auch noch Hilfe brauchen würde und wir willigten natürlich sofort ein ihr zu helfen.
Eine Woche später erhielten wir schon einen Brief von ihm.
Ich bin da. Frau auch schon und kommen Grosseltern… Arturas.“
Und weitere vier Wochen darauf: „Now, the whole family is here, all okay. Thank you so much! Arturas“.
Dann haben wir nie wieder etwas von ihm und den seinigen gehört. Aber ich bin sicher, die haben sehr schnell ihr Leben in ihre eigene Hand genommen.
Vielleicht sind sie jetzt auch schon wieder in Litauen, ihrer Heimat. Ich weiß es nicht.
Heute ist das ganze Land endlich frei und das Baltikum hat sich wunderbar entwickelt. Nur… sie müssen schon wieder Angst haben, dass man ihnen die Freiheit nimmt.
PS. Meine Kiste mit den Bildern kam wieder — liebevoll eingepackt — zurück nach Hamburg. Oben auf den Bildern lagen die Blumen, die man mir bei der Eröffnung gegeben hatte, fein säuberlich gepresst in einer durchsichtigen Tüte.
Danke Litauen.
