Am Ende der Welt und noch viel weiter

Heute werde ich beginnen Euch eine Geschichte zu erzählen, die für eine Seite zu lang und für ein Buch zu kurz ist. Es geht um eine Stadt, die es fast gar nicht gibt und ein Krankenhaus, das sich selbst nicht versteht. Das ganze steht im Niemandsland, nicht im ehemaligen Zonenrandgebiet, sondern mitten in Deutschland.

Unser Kardiologe war zu dem Schluss gekommen, dass mein Mann einen Herzschrittmacher brauchen würde. Mein Geliebter wollte das zunächst nicht, weil das gute alte Herz doch noch schlug. Und – wie er meinte: „Es schlägt doch noch ganz ordentlich für 85 Jahre!“

„Nö,“ sagte unser Herzdoktor. „Wir schicken Sie nach X und da haben Sie Ruhe, zwei wunderbare Ärzte werden Ihnen den Herzschrittmacher in einer Belegklinik einbauen und drei Tage später kommen Sie zurück und zeigen mir, wie fit Sie dann wieder sind.“

„Warum soll ich denn in die Walachei gehen, um mir das Ding einsetzen zu lassen. Hier gibt es doch überall Kliniken?“ – „Ich will, dass Sie ein bisschen zur Ruhe kommen.“

„Na, gut,“ willigte mein Mann ein und nach ein paar Tagen schon wurden wir von einem Krankenwagen abgeholt und fuhren über eine Stunde durch langweilige, aber beruhigende Landschaft. Ich merkte, dass dies meinem Mann recht gut tat und er langsam aber sicher sanft einschlief, während ich sah, wie wir Ortschaften durchfuhren, sie verließen und bestimmt am Ende nochmal gefühlte 5 km über eine langweilige, immerzu geradeaus laufende Strasse ratterten, ehe sich ein Gebäude aus der Einsamkeit erhob, was wie ein Krankenhaus aussah. Einsam, nicht besonders gepflegt, kein Mensch vor der Türe und es fing langsam an zu nieseln. Es kam ein bisschen Wind auf und eine erste fettere Wolke zog über uns und schoss für eine Minute einen ganzen Wasserstrahl an Regen raus. Hitchcock-mäßig fühlte sich das an und ich hoffte, der Eindruck würde schnellstens vergehen.

Wir wurden ins Haus gebracht – Daten und Namen dahergesagt, Papiere abgegeben und damit auch unseren eigenen Willen. Mich sah man ziemlich schief an, weil ich mich nicht von der Stelle rührte und mitteilte, dass ich im Ort bleiben wolle, um täglich meinen Mann zu besuchen. Drei Tage sind ja nix. Da kann man sich schon mal in der Walachei aufhalten.

Als wir uns im Krankenzimmer breit gemacht hatten, eingeräumt und den Nachbarn begrüssten, bemerkten wir, dass er angeschrien werden musste, um uns zu verstehen.

Na, toll,“ dachte ich, „wenn mal etwas sein sollte, dann ist der eine taub und der andere frisch operiert.“

Ich verabschiedete mich von meinem Mann und ging los, mir ein Zimmer zu suchen in der Ortschaft, wo die lange Strasse hinführte.

„Oh,“ freute ich mich, „hier gibt es sogar einen Bus.“ Es war schon dämmrig und ich konnte den Fahrplan kaum lesen. Ein junger Mann latschte vorbei und sagte: „Da können Sie lange warten. Der nächste Bus geht morgen früh.“ Ich sah die Strasse im Niemandsland enden und dachte, „Na, dann rufe ich mir ein Taxi.“ Taxi gab es auch nicht, die fuhren angeblich auch nur zu bestimmten Zeiten.

Es wurde dunkler und ich hatte noch kein Zimmer. Also, ich hatte glücklicherweise nur einen Rucksack zu tragen mit Nachthemd, Zahnbürste, Waschlappen und Handtuch drin und marschierte los. Ich ging und ich ging, die Ortschaft kam mir vor wie eine Fata Morgana und rückte einfach nicht näher. Irgendetwas Großes huschte quer über die Strasse, ich schrak zusammen, dachte an Wolf oder Bär und überquerte zitternd die Strasse, weil ich glücklicherweise erste Häuser sah. Und siehe da, beim ersten Haus stand gleich: Zimmer frei. Ziemlich runter gekommen sah alles aus. Aber ich war müde. Ich trat ein in einen Gasthof und der Wirt gab mir gleich einen Schlüssel, bevor ich überhaupt gefragt hatte und meinte durch die Zähne: „Erste Treppe links das erste Zimmer.“ Ich nahm alles hin, fand den Raum, putzte eben noch die Zähne, wusch Hände und Gesicht und ließ mich fallen.

Am nächsten morgen fluchte ich vor mich hin, weil meine dumme Angewohnheit, keine Uhr zu tragen, mir nicht die Antwort vom Himmel schickte. Es hätte alles sein können, 6 Uhr am Morgen oder 9 Uhr und schlechtes Wetter.

Es war 7 Uhr, schlechtes Wetter und es gab noch nicht mal einen Kaffee. Der Wirt fragte auch nicht nach Bezahlung. Ich verließ das Haus und ging zur Bushaltestelle. Wann fahren die Busse? Einer am Morgen 7:10 Uhr, einer Mittags 13:10 Uhr und einer am Abend 17:10 Uhr. Also wieder laufen. Die Strasse war leer, es fuhr kein Auto, die Einsamkeit war unglaublich, diese Stille fast erschreckend. Und während ich so vor mich hintrottete, bemerkte ich nicht, dass jemand neben mir ging. Erst neben mir und dann immer dichter.

– Fortsetzung folgt –