Bäume als Symbole: Die bewegende Geschichte dreier Freunde und ihrer Kiefern

Vor etwa zwanzig Jahren hatte es auf dem oberen Teil des Heuberges gebrannt und Eberhard, Blacky und Peter erlebten das hautnah, wie einige Bäume und der Stall abbrannten. Keiner wusste damals, wie das geschah. Aber alle entsetzte es, wie schnell so etwas gehen kann. Damals schworen sich die drei, dass jeder von ihnen dort oben ein neues Bäumchen pflanzen wollte. Irgendwann.

Es ließ ihnen keine Ruhe und im Jahr darauf stiegen die drei mit je einer kleinen Kiefer hinauf auf ihren geliebten Berg, um sie einzubuddeln. Dazu war jeder so in seine Gedanken vertieft, dass sie kaum sprachen. Doch am Ende, als alle drei Bäumchen in der Erde saßen, setzten sie sich hin, packten ihre Brotzeit aus, teilten sich das Essen so wie früher und schworen sich dabei, wo immer sie auch sein würden, spätestens in drei Jahre wiederzukommen. um die Bäumchen wachsen zu sehen. Und im Geheimen dachten die drei daran, wenn es den Bäumchen gut geht, geht es auch ihnen gut.

Drei Jahre später lebten sie noch immer in der gleichen Gegend und so machten sie sich auf, den Heuberg wieder zu besteigen, und mit großer Freude sahen sie, dass die Kiefern inzwischen schon ein bisschen gewachsen waren.

Weniger als sie dachten, dafür aber mit gesunder Kraft.

Die Zeit war gekommen, wo sie wussten, dass jeder nun sein eigenes Ding machen wollte. Eberhard studierte bald danach in Amerika. Er wollte Ingenieur werden, Blacky ging für zwei Jahre nach Afrika, um in der Entwicklungshilfe zu arbeiten, und Peter blieb in seinem geliebten Bayern, wo er Architektur studieren wollte, aber zuvor noch ein Praktikum in Österreich vorhatte, zu absolvieren.

Wann wollen wir uns wieder treffen? Was ist realistisch?“

fragten sich die drei. Peter war der einzige, der wusste, er würde wieder auf den Heuberg gehen, denn er blieb ja in der Heimat. Aber Afrika und Amerika waren doch ein bisschen weit weg. Dennoch verabredeten die drei im Überschwang ihrer Gefühle: „Einer für alle, alle für einen! Wir kommen wieder!“ Das Datum wurde festgelegt! Es sollte der 21. August 1976 sein. Blacky wäre bis dahin wieder zurück und Eberhard hätte Semesterferien.

Und in der Tat, sie schafften es nach drei Jahren und sahen sich wieder. Sie hatten sich verändert und waren junge Männer geworden. Peter blieb noch immer dieser Naturbursche, während man bei Blacky schon einige Zeichen des Leidens oder Mitleidens im Gesicht sah, auch wenn die Bräune die Schatten noch überdeckten. Eberhard hingegen wirkte nun schon sehr viel erwachsener, doch noch immer sehr offen. Die Fremdheit zwischen ihnen war nicht groß und schon bald erkannten sie einander wieder. 

Eberhard erzählte, dass er ziemlich ackern musste in den ersten Monaten in Amerika, um mithalten zu können.

Dazu war seine Sprachkenntnis anfänglich im Verstehen noch etwas schwierig, doch das alles verging und er lebte nun sehr gerne in diesem Land. Blacky erzählte von der großen Armut in Afrika und wie schwer es sei, immer an gutes, frisches Wasser zu kommen. Er erzählte von Brunnen, die sie bauten und dass man inzwischen schon immer tiefer bohren musste, um auf Wasser zu stoßen. Peter fühlte sich ein bisschen ausgegrenzt, denn man spürte, er war in der Heimat geblieben und sein Herz liebte unverändert die Berge und nicht das große Abenteuer weit weg. Trotzdem lebte auch er längere Zeit wenigstens mal in Österreich und sollte nun, zusammen mit seinen Freunden, nach den drei Jahren endlich wieder auf den Heuberg steigen.

Sie kamen auf der Höhe ihrer Bäume an und lagen sich gleich darauf in den Armen, denn den Bäumen war nichts geschehen, sie waren nur gewachsen. Und dann sprach Eberhard aus, was jeder von ihnen beim Pflanzen damals gedacht hatte, ohne es auszusprechen: „Wenn es den Bäumen gut geht, geht es auch uns gut. Das habe ich jedesmal gedacht, wenn meine Gedanken zu unseren Bäumen gingen.“ Peter und Blacky nickten und meinten:

„Das gleiche ging uns auch durch den Kopf, warum auch immer.“

Sie setzten sich wieder hin, teilten ihre Brotzeit und freuten sich, dass sie auch Erinnerungen und Gedanken teilten.

Sehen wir uns in drei Jahren wieder, wenn wir fast dreißig sind?“

fragten sie sich. „Müssen wir unbedingt, denn wir wollen ja wissen, ob es unseren Bäumchen noch gut geht.“

„Sagen wir diesmal 1980, denn wer weiß schon, was in der Zwischenzeit geschieht. Und dann sind wir alle drei genau dreißig und haben vielleicht schon Kinder und sind nicht mehr so schnell abkömmlich,“ meinte Eberhard und Blacky fügte hinzu, er wisse noch nicht, ob er vielleicht für immer in Afrika bliebe. Das Land fasziniere ihn und er würde dort gerne noch andere Länder bereisen, wo seine Hilfe gefragt sei.

Alle drei trugen das Datum 21. August 1980 in ihre Notizblöcke ein und gingen glücklich und doch auch ein bisschen wehmutsvoll auseinander.

Tatsächlich gelang es ihnen 1980 wieder, einander zu treffen, obgleich es diesmal schon viele Veränderungen gab. Peter hatte geheiratet, studierte aber noch immer Architektur, Blacky brachte seine Freundin, eine dunkelhaarige Schönheit mit, und nur bei Eberhard hatte sich nicht viel verändert, außer, dass er nun schon im Arbeitsprozess stand und sein Chef ihm frei gab für Deutschland, weil auch er gebürtiger Deutscher war. Dem gefiel es so gut, dass Eberhard sein Date mit den Freunden wahrnehmen wollte, dass er am liebsten mitgekommen wäre. Er konnte die Treue und Tradition noch gut verstehen, die Eberhard drang, wieder nach Deutschland zu reisen.

Wie immer standen sie einander gegenüber und wie immer umarmten sie sich wie früher und wie immer, war noch die alte Freundschaft in ihnen, die sie so glücklich machte.

Sie marschierten alleine auf den Berg. Peters Frau blieb in München und Blackys Freundin machte eine Sightseeing Tour durch München und Umgebung.

Dies war die Besteigung ihrer Kindheit und Jugend: der Heuberg. Und wie immer zitterten sie, wie die Bäume jetzt wohl aussahen. Dies war kein unschuldiger Besuch mehr auf den Berg, seit Eberhard ausgesprochen hatte, dass es für ihn so spannend war, weil er es wie die anderen, maß an ihrem Wohlergehen.

Sachlich stellten sie fest, dass sie eigentlich die Bäume zu dicht gepflanzt hatten. Und sie erklärten sich dabei auch die schlechtere Entwicklung von Blackys Baum. Die drei Stämme wuchsen sehr aufrecht, obgleich die jungen Männer eigentlich Latschen gekauft hatten, die nicht allzu hoch werden sollten und auch nicht so aufrecht.

Wieder saßen sie beieinander und diesmal waren ihre Lebensgeschichten schon unterschiedlicher und hatten auch sie als Menschen verändert. Blacky erzählte vom Leid der vielen Afrikaner, Eberhard von dem ansteckenden Optimismus der Amis und und Peter erschütterten die vielen Auflagen, die man beim Bauen hatte. Und er stöhnte über die deutsche Bürokratie, was Eberhard wieder veranlasste zu sagen, er solle zu ihm nach Amerika kommen, denn dort sei alles viel leichter.

Jeder nun schon mit eigenem Schicksalsgewicht behaftet, verabschiedeten sie sich wieder mit den Worten:

In fünf Jahren am 21. August 1985.“

Und nicht mehr so ganz leichten Sinnes gingen sie auseinander. 

Im Jahr 81 drängte es Peter, auf den Heuberg zu steigen und er wusste nicht warum. Er würde seinen Freunden nichts davon erzählen. Doch er wollte einfach schauen, ob noch alles gut sei.

Die Kiefer von Blacky lag am Boden und Peter zuckte zurück. Doch gleich erholte und beruhigte er sich, dass es doch nur ihre Gedanken damals waren, wenn es den Bäumen gut ginge, ginge es ihnen auch gut. Lange grübelte er, was er tun sollte. Dann packte er das Leben an den Hörnern und er sagte sich: „Ich werde Schicksal spielen, ich Depp. Alles ist gut und alles wird gut“. Dann stieg er runter ins Tal, kaufte eine Kiefer den beiden anderen ähnlich, aber kleiner, weil er sicher sein wollte. dass das Bäumchen noch gut anwachsen würde und bat den Gärtner, das Bäumchen in die Nähe der Hütte zu bringen. Er würde dort warten, um ihm zu erklären, wo dies dritte Bäumchen gepflanzt werden sollte.

Er erklärte, warum das Bäumchen einen bestimmten Platz einnehmen müsste und fragte den Gärtner, ob er die beiden anderen so zuschneiden könne, so dass die drei dann in zwei bis drei Jahren aussähen, als wären sie schon immer so gewachsen.

Der Gärtner war ein begabter Mann und er liebte seinen Blumen wie die Bäume. Und am Ende ergaben die drei eine wunderbare Symbiose.

Peter, der jetzt in Nussdorf wohnte, beschloss nun, öfter auf den Berg zu gehen, jetzt schon mit seinem kleinen Sohn, der die Liebe zur Natur erleben sollte. Und das nächste Mal, wenn sich alle treffen wollten, 1985, sollte der Kleine dann dabei sein. Auch Freundschaft sollte er erfahren, wie er das auch erfahren hatte.

1985, der 21. August. Pünktlich wie noch immer mancher Deutscher erschien Eberhard am Fuss des Heubergs und winkte Peter und seinem Sohn schon fröhlich zu. „Wo is Blacky,“ fragte er als erstes, ehe er sich zu dem Knaben hinbeugte und meinte: „Und Du bist der Sohn, grod sche ist dös, dass Du ean mit aufi nimmst.“ Sein bayrisch hatte er noch nicht verlernt, nur immer öfter erschien das Wort „okay“ in seinem Vokabular, so dass der Bub fragte, was das für ein Wort sei! „Es gfallt mir guat und klingt so luschtig als wia du dös sogst!“ Und Eberhard antwortete: „I schenk Dir dös Wort. Dann san mer scho zwoa, die es megn.“ 

Sie warteten lange auf Blacky und als der nicht kam, war es schon Mittag und Eberhard meinte: „Geh ma, Blacky kummt bestimmt nacha!“ Der Kleine kletterte fröhlich mit ihnen, während die beiden Männer stumm blieben. Jeder wusste vom anderen, woran er dachte, Aber keiner sprach es aus. Als sie endlich an ihrer Stelle waren, ließen sie sich nieder und taten, was sie immer taten. Sie holten ihre Brotzeit raus und teilten sich das Essen so wie einst. Dann meldete sich der Kleine und fragte seinen Papa, wo der dritte Freund bliebe und Peter antwortete nicht. Wieder war es Eberhard, der sagte: „Schau amoi, wie guat die Bäum gwachsen sind und wie sie sich fast umschlingen. Ois wird guat!“

Und Peter schwieg noch immer.

Es war später Nachmittag und Eberhard fragte, ob sie nun wieder absteigen sollten oder eine Nacht droben auf der Hütte bleiben.

„Host Lust im Heu zu schlofen,“ fragte er den Kleinen und der antwortete ganz entzückt: „Mei, dös wär sche!“ Nur Peter sagte noch immer nichts.

In die Stille hinein hörten sie plötzlich ein „Holleridio“ und mit einem Satz rannten alle raus, auch der Kleine und er konnte sehen, wie glücklich sein Papa war, als der Blacky umarmte. „Wo warst Du?“, fragte er ihn wieder und wieder. „Tja, afrikanische Flugzeuge sind nicht immer so pünktlich wie Deutsche. Ich komm schließlich aus Afrika und da geht die Zeit ein bisschen anders.“

Habt ihr mir was zu essen übrig gelassen oder muss ich rübergehen zu Marie, die mir was gibt.“

Sie blieben über Nacht und schliefen alle im Heu. Am frühen Morgen wanderten sie rüber zu ihren drei Bäumen und alle bewunderten,wie gut sie gewachsen waren. Fast zu einer engen Gruppe, in der man sich verstecken konnte. Der Kleine setzte sich unter die Äste, während Peter nur dachte: „Es war richtig, dass ich das getan habe. Alles ist gut, alles wird gut!“ Und laut meinte er: „Freunde für immer!“ Und der Bub meinte dazu: „I a!“ Und Blacky im schönsten Hochdeutsch:“ Ich auch!“ 

Das Leben ist schön. Man muss ihm nur die Gelegenheit dazu geben.