Bitte lauter sprechen!

Es war ein frischer warmer Tag, die Luft angenehm trocken und nicht so unheilschwanger wie noch zwei Tage zuvor, als ein Gewitter nach dem anderen in der Luft lag.

Mutter und Tochter bummelten mal wieder nach so langer Zeit gemeinsam durch die Stadt, gönnten sich Blicke auf wunderschöne Klamotten und kauften ein bisschen Unterwäsche hier, ein frisches Duftwasser da und genossen den Tag.

Sie kamen an einem kleinen Cafe vorbei und hielten inne, weil auch das nach so langer Zeit mal wieder ein wunderschönes Gefühl war, dort hinein zu gehen. Die ganze Vorderfront des Cafes war geöffnet, so dass man nicht eingesperrt in einem Raum saß.

Mutter und Tochter bestellten Kaffee und ein Stück Kuchen zur Feier des Tages und freuten sich über all die klitzekleinen Dinge, die sie gekauft hatten.

„Manchmal ist es gut, wenn man sich nicht immer alles erfüllen kann,was man haben möchte, egal aus welchem Grunde,“ meinte die Mutter. „Naja,“ antwortete die Tochter, „aber ich hatte schon manchmal das Gefühl von Depressionen, weil vieles nicht mehr möglich war. Halt wie eingesperrt sein!“ — „Aber jetzt sollten wir genießen, dass es so…“

Vom Nebentisch kam eine Stimme und die sagte:

Können Sie nicht ein bisschen leiser sprechen? Man hört Sie ja bis auf die Straße und ich kann meinen Mann kaum verstehen!“

„Oh, entschuldigen Sie bitte. Ich rede immer so laut, weil ich leise sprechende Menschen kaum verstehen kann. Und wenn ich lauter spreche, hoffe ich, dass die anderen es dann auch tun, damit ich sie verstehen kann. Sorry!“

„Ach Sie Arme! Haben Sie denn schon ein Hörgerät?“, fragte die Nachbarin.

„Ja, natürlich, denn ich höre nur noch auf einem Ohr.“

„Ja, meinen Eltern geht es ebenso. Die brüllen sich den ganzen Tag an, weil sie beide nicht mehr viel verstehen. Also entschuldigen Sie bitte, dass ich etwas gesagt habe.“

„Nein, nein, Sie haben schon recht. Ich muss öfter ermahnt werden leiser zu sprechen, denn nicht jeder ist schwerhörig, auch wenn wir das denken.“

Nun wurde das Gespräch zwischen allen Vieren recht lebhaft, denn man versuchte sich Ratschläge zu geben, wie man es besser in der Kommunikation machen könnte. Vielleicht sollten die Schwerhörigen leiser und die hörfähigen lauter sprechen.

Am Nachbartisch beklagte man sich, warum sich die Leutchen nicht zusammen an einen Tisch setzen wollten, wenn sie sich schon unterhalten müssten in dieser Lautstärke. 

Da klang die Stimme einer ganz alten Dame von etwa 90 Jahren laut und deutlich durch den Raum: „Wenn Sie nicht alle so laut sprechen würden, würde ich gar nichts verstehen. So aber finde ich es ganz unterhaltsam. Darf ich zu Ihnen rüberkommen. Dann sind wir an einem Tisch und ganz unter uns!“

Dabei nahm sie schon gleich ihre Tasche und den Gehstock und kam zu den vieren als fünftes Rad am Wagen! Alle lachten, selbst die Tochter der Mutter fand es nicht peinlich. „Mein Trommelfell hat schon eine Hornhaut,“ meinte sie und grinste verschmitzt zu dem Ehepaar, während sie den letzten Schluck des nunmehr kalten Kaffees austrank.

Alles ist gut!