Das Ende einer Liebe?

Hannerl ging es nicht gut. Seit Wochen schon hatte sie immer mal Fieber und Gleichgewichtsstörungen. Ein andermal rutschten ihre Beine weg. Sie hatte ihren Eltern davon geschrieben und die meinten, sie solle für eine Weile nach Hause kommen, um sich mal untersuchen zu lassen. Und da auch in Lizzys Leben sich etwas veränderte, beschlossen die beiden, ihre Wohnung zur gleichen Zeit aufzugeben. Lizzy würde entweder in Hannover oder in Hamburg das Märchenbuch illustrieren. Man wollte ihr noch Bescheid geben.

Zunächst bat man sie nach Hamburg, wo sie für 4 Wochen blieb, um die Aufgabe zu besprechen, während Hannerl in Bebra von ihren Eltern wieder aufgenommen wurde, die sich große Sorgen um sie machten.

Lizzy hatte Edward noch von München aus geschrieben, dass Hannerl und sie nun einen Standortwechsel vornehmen würden. Sie wolle sich melden so wie sie eine feste Adresse hätte. Auch Frau Bauer bekam einen Brief von beiden Mädchen, wobei Lizzy den schon fast ganz für Hannerl schreiben musste. Es war beängstigend, was mit ihr los war.

Was Lizzy und Hannerl nicht wussten war, dass auch Edward und Felix umziehen mussten, weil deren Firma in vier Bereiche aufgeteilt werden sollte, jeder Bereich in einem anderen Bundesstaat. Und so geschah es, dass keiner von keinem wusste, wo der andere war. Auch Frau Bauer konnte Lizzy nicht erreichen. So fuhren die Mädchen beide erst mal gen Norden.

In den ersten Wochen wunderte sich Lizzy noch ein bisschen, dass Edward nicht antwortete. Dann aber begannen Besprechungen wegen des Märchenbuches und zwischenrein immer wieder Informationen zu Hannerls Erkrankung.

Auch Frau Bauer antwortete nicht mehr. Lizzy schickte einen zweiten Brief an sie und fragte, was mit Edward sei. Und so ging langsam und allmählich eine wunderschöne Liebe ihrem Ende entgegen, weil keiner bedachte, dass sich beim anderen etwas ändern würde, schon gar nicht so eine alberne Adresse.

Lizzy blieb in Hamburg und arbeitete dort an ihrem Märchenbuch.

Inzwischen bekam sie nebenher noch weitere Aufträge, so dass sie ihr Leben entspannter leben konnte. Aber noch immer gab es eine kleine Ecke in ihren Herzen, wo es weh tat, wenn sie an Edward dachte. Doch diese Gedanken an ihn verbot sie sich, weil sie wusste, Liebe kommt und Liebe kann auch gehen. Besonders, wenn man sich nur schreibt und nicht sieht und spricht.


Fünfzehn Jahre gingen ins Land. Hannerl war inzwischen schon sehr schwer an MS erkrankt und Lizzy konnte es oft kaum ertragen, wenn sie sie besuchte. Aber aus Hannerl war inzwischen wieder Johanna geworden und als diese trug sie ihr Schicksal sehr tapfer bis sie starb. Sie wurde nur neununddreißig Jahre. Mit ihr waren so glückliche Zeiten verbunden, so auch die Zeit mit Edward und Felix, ganz zu schweigen von ihrer langen gemeinsamen Schul- und Jugendzeit. Sie würde ihr sehr fehlen.

Trost für die Eltern gab es kaum, gibt es doch nichts schlimmeres, als wenn die Kinder vor den Eltern gehen.

Der Verlag, für den Lizzy arbeitete, sammelte immer Leserbriefe für sie, die man ihr von Zeit zu Zeit schickte. So auch in jenen Tagen. Sie blätterte sie einmal kurz durch, bis sie erschrak, als sie Edward Bauer auf dem Absender sah. Lange hielt sie diesen Brief in ihren Händen, ehe sie ihn schließlich öffnete. Sie las die Überschrift und wurde dann doch neugierig. Er begann mit:

Liebe Frau Elisabeth oder liebe Lizzy,

leider weiß ich nicht, ob ich die richtige Adresse gefunden habe und Sie die Person sind, die ich mir erhoffe.

Meine Freundin wollte vor ungefähr 14 Jahren nach Hamburg oder Hannover gehen, um ein Buch zu illustrieren. Ich weiß nicht, ob sie es getan hat oder nicht. Ich weiß nicht, ob Sie den gleichen Namen oder zufälliger weise nur den fast gleichen Namen tragen. Ich weiß eigentlich gar nichts außer, dass ich gerne wüsste.

Sollten Sie es sein, die ich suche, so wäre ich glücklich, wenn ich Dich endlich gefunden hätte.

Mit freundlichen Grüßen oder einer innigen Umarmung

Edward Bauer

Lizzy ließ den Brief fallen und es waren sofort alle Erinnerungen wieder da. Aber ist das ein Grund zu antworten? Nach 15 Jahren? Sie hatten nur ein glückliches Jahr miteinander verbracht, noch nicht einmal ein ganzes. Das war lange, lange her. Und Erinnerung verklärt. Wie sehr würden sich beide verändert haben? Es gab nur die ungewöhnliche Geschichte um die Ähnlichkeit mit einer anderen jungen Frau. Hätte er sie sonst überhaupt angeschaut? Und sie waren damals so jung, schrecklich jung gewesen.

Würde sie mit einem Wiedersehen ihre gemeinsame Erinnerung zerstören?

Sie schlief eine unruhige Nacht darüber und war sich am Morgen ziemlich sicher, dass sie diesen Brief nicht beantworten würde. Nicht, weil er vielleicht schon eher hätte geschrieben werden müssen, sondern weil es einfach nur eine wunderbare Erinnerung an ihr Jungsein war. Und diese Erinnerung wollte sie sich bewahren.

Sie nahm den Brief und legte ihn bei den anderen erledigten ab.

Ihr Leben war gut so wie es jetzt war. Und noch einmal spürte sie einen Schmerz, weil die Vergangenheit vergangen war.

Doch nicht ganz, denn Edward hatte ein großes ABER. 

Er stand vor ihrer Tür und klingelte. Als sie öffnete, breitete er die Arme aus und meinte: „Ich sehe Dich, wenn ich Dich sehe.“ Er nahm sie in die Arme und was immer auch von nun an passieren würde, wäre eine Chance auf Glück für den Augenblick oder auf ewig. 

Ende

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