Das Gewitter

Es war lange her, dass es geregnet hatte. Die letzten Wochen, ja fast Monate, fiel nicht mal ein kleiner Schauer. Die Natur dürstete danach. Aber der Himmel blieb blau und nur wenige einsame Wolken zogen darüber hin. Ich war auf dem Weg zum Heuberg und kletterte die letzten Meter bis hinauf zur Hütte. 

Marie war die Sennerin seit vielen Jahren und sie lebte gerne hier oben. „Liebe Marie, schenk mir jetzt ein Glas Buttermilch ein, lass mich wieder empfinden  wie es ist nach langer Wanderung, heimzukommen in ein Haus, das so vertraut ist.“ Marie gab mir ein großes Glas. Und es schmeckte wie früher, wenn ich hier einkehrte. 

Fremde betraten die Hütte, aber es waren vertraute Fremde, fremde Vertraute. So wie sie hier alle rumliefen, Kniebundhosen, offene Hemden, kariert, mit roten, braunen und weißen Gesichtern obendrauf. Wir saßen auf den langen Holzbänken, quatschen irgendwas, lachten oder sagten auch nichts. So wie immer. In kurzer Zeit bezog sich der Himmel.

Vielleicht würde es ein Gewitter geben. Möglich. Und wenn schon. Regen wäre allemal gut.

In Geschwindigkeiten kamen die schwarzen Wolken heran, ein kräftiger Wind wehte. Es begann zu regnen. Ich ging vor die Türe und ließ mich nass regnen. Wie klar die Tropfen waren und wie glänzend, wie hart, wie weich. Rundherum war nun nichts mehr zu sehen. Grauer Himmel und grau, was Berg und Tal hieß. Gras duckte sich, reckte sich, duckte sich wieder wie der Wind, wie der Regen wollte. Auf, nieder. Die ersten Blitze, der erste Donner. Wie schön. Wie lebendig. Die Gewalt der Natur wurde spürbar. Und Du kleiner Mensch stehst vor der Türe und weißt, da kann Dich etwas treffen, vor dem Du Dich kaum schützen kannst.

Wie ein Schmerz im Herzen.

Immer stärker grollten Donnerschläge, immer stärker die Blitze. Das war ein Schauspiel. Der Boden unter uns erzitterte. Die Hütte schien auseinander zu brechen, so heftig wurde sie erschüttert. 

Allmählich zogen wir uns ins warme Nest zurück und blickten vorsichtig nur noch von drinnen durch die kleinen Fenster. Blitze und Donner folgten nun dicht aufeinander. Ich vergaß fast zu atmen. „Es muss über uns stehen,“ flüsterte mein Nachbar. „Bleib ruhig,“ sagte ich mir,“ bleib ruhig.“ Immer heftiger folgten dann Blitz und Donner aufeinander, vom Geschrei der vielen Leute begleitet, die sich nun dicht gedrängt ergaben: Dieser Angst.

Gewitter im Gebirge. 

Und dann war’s wie die Erscheinung des Herrn. Weiß, strahlend, blendender Blitz und ohrenbetäubender Donner. Wir brannten. Die kleine trockene Hütte, aus Holz und Stein würde brennen wie Zunder. Raus, nur raus. Wir drängten und drängten. Jeder wollte leben. Geblendet und taub schoben wir uns nach draußen. Der Regen prasselte. Noch immer grollte der Donner und die Blitze erhellten die Berge. Hier draußen waren wir wie die Grashalme. Wir beugten uns, warfen uns abwechselnd ins Gras, heulten und schrien.

Und auf einmal war alles vorbei. Ganz plötzlich. Ganz friedlich brannte die Hütte und keiner half zu löschen. Das würde wohl der restliche Regen erledigen. Ein paar Kühe und Ziegen rannten wie gehetzt umher, schrien und bimmelten mit ihren Glocken.

Bimm, bimm, bimm,

während Marie schaute, dass es noch allen gut ging. Den Menschen wie dem Vieh. Das Feuer brannte und wärmte. Wir froren und rutschen alle dicht aneinander. Was für ein Frieden.

Und der Mann, der neben mir saß, legte seine Arme um mich und sagte: „Wir beide bleiben beieinander. Wer das durchgestanden hat, vergisst das nie. Und ich werde Dich auch nicht vergessen, so wahr ich Georg heiße. Und wie heißt Du?“ – „Sandra“, antwortete ich. Vorsichtig legte ich meine Hand in seine braune. Das fühlte sich gut an. „Passt schon,“ meinte ich dann und er umfasste sie. 

Langsam kam der Mond unschuldig aus dem Nebel und schien ganz friedlich und still…