Lange Zeit war er kein „aaler“ (also „alter“) Herr Umbach. Aber weil seine Statur so hoch, sein Rücken ein bisschen krumm war , sein Bart länger als normal und sein Haar ein bisschen wirr und lockig, spielte er Jahr für Jahr den Weihnachtsmann. Und das machte er sehr gut, auch wenn wir nie wussten, ob er das gerne tat.
Dann starb seine Frau und über Nacht wurde sein Haar weiß, der Bart blieb noch dunkel. Doch von da an gab es bei uns im Dorf keinen Weihnachtsmann mehr. Wir suchten und suchten, es wollte keiner diesen alten Herrn spielen.
Vielleicht war das Spiel des aalen Umbachs zu gut als Weihnachtsmann. Und eines musste man sagen: Seine Gestalt alleine brachte uns Kinder schon zum Träumen. Zu schön war es, wenn er mit großen Schritten, der gebeugten Haltung, den Rucksack trug, dann hatten wir alle keine Angst. Wir stellten uns hinter ihm immer viele Englein vor, die ihn begleiteten.
Deute, so hieß unser Dorf, war klein,die Leute lieb und nett. Doch zwischen den etwa 150 Menschen war kein Mann mehr zu finden, der sich nicht wenigstens ein einziges Mal opfern wollte, den Weihnachtsmann für uns Kinder zu spielen. Und Herr Umbach wurde von heute auf morgen zum aalen Herr Umbach mit seinen kaum 35 Jahren.
Dann kam der Krieg und viele Männer wurden eingezogen. Der Krieg wartete auf sie. Herr Umbach war nicht dabei. Er wohnte in seinem kleinen alten Haus, still und einsam, denn er sprach kaum noch mit dem einen oder anderen.
Doch eines Tages wurde auch er zum Militär eingezogen.
Selbst wenn wir ihn alle kaum noch im Dorf gesehen hatten, veränderte sich unsere Welt total, denn nun war sogar unser Weihnachtsmann nicht mehr da. Keiner konnte uns jetzt noch beschützen.
Die Kriegsjahre waren unheimlich und hart, auch für uns Kinder, denn es gab oft Alarm und dann mussten wir in die Kellerräume flüchten. Nachts wagten wir nicht einzuschlafen, weil wir dachten, wir würden den Alarm verschlafen. Dabei war es bei uns auf dem Lande noch viel ruhiger als in der Stadt, wo auch die Bomben schon in den Ecken fielen, wo es keine Fabriken und Waffenlager gab, nur noch Menschen, junge und alte.
Die besonders für unsere Mütter und Väter qualvollen Jahre zogen sich hin. Doch endlich war der Krieg aus.
Der Krieg war aus und wir Kinder tanzten vor Freude auf der Straße. Es kam die erste Weihnacht und wir alle warteten auf den Weihnachtsmann. Doch der kam nicht und so fingen wir langsam an zu vergessen, dass es den aalen Umbach jemals gab. Er hatte uns einfach im Stich gelassen. Unsere Eltern aber sagten oft:
Der ist wohl im Krieg gefallen, denn er hatte schon vorher beim Tod seiner Frau keine Freude mehr am Leben.“
Drei Jahre nach dem Krieg lernten wir alle schon wieder in der Schule und es kamen anschließend Ferien, in denen das eine oder andere Kind zur Erholung geschickt wurde, weil es krank oder auch unterernährt war. Doch insgesamt ging es uns hier auf dem Lande besser als in den Städten. Wir waren viel draußen beim Spielen und in den Sommerferien folgten schon wieder eine lange Reihe von ganz glücklichen Tagen.
Es kam der nächste Winter und der war in diesem Jahr besonders kalt. Wir sammelten Holz und klauten am kleinen Güterbahnhof Briketts, weil wir wollten, dass wenigstens unser Popo warm sein sollte, wenn wir denn schon kaum Geschenke bekamen.
Kommt alle raus, kommt alle raus,“
brüllte die Stimme von Bauer Lange vom Hof her und wir flitzen auf die Straße. „Ich habe gerade den Weihnachtsmann gesehen. Der kam aus Dissen und es sieht so aus, als würde er bald bei uns sein!“
Zwischen Dissen und Deute gab es nur eine Landstraße, die beide Dörfer miteinander verband. Und so rannten wir alle , Groß und Klein, hin zur Landstraße, um zu sehen, was Bauer Lange verkündet hatte.
Und tatsächlich kam da eine lange, leicht gekrümmte Gestalt daher mit weißem Bart, schütterem Haar und einer grauen Mütze auf dem Kopf. Einen Augenblick hielten wir Kinder inne. Und dann wussten wir: „Unser Weihnachtsmann ist wieder da.“ In unserem Unterbewusstsein war er nie wirklich ganz weg gewesen. Wir rannten alle los und wie junge Hunde umsprangen wir den aalen Umbach, der da kam und einen sehr schweren Schlitten hinter sich herzog. Der Schlitten war beladen mit vielen Dingen, die ihm die Amerikaner für uns alle mitgegeben hatten. Extra für uns. Er hatte sie auch gebeten, ihn nicht nach Hause zu bringen, sondern ihn allein die Landstraße gehen zu lassen, weil er sein Glück, zu Hause zu sein, kaum fassen konnte.
Und er wollte uns alle überraschen, der aale Umbach, der eigentlich der Weihnachtsmann war. Oder der Weihnachtsmann, der eigentlich der aale Umbach war.
Oh Du fröhliche, oh Du selige Weihnachtszeit…
