Der letzte Tag brach an und alle wollten nochmal Skifahren. Lizzy winkte ihnen zu, um ihnen das Gefühl zu geben, dass alles gut sei. Aber es reute sie doch sehr, dass sie nicht mehr weiter üben konnte. Also holte sie wieder ihren Zeichenblock, Bleistift, Rödel und Kohlestift, um weiter eine lockere Hand zu kriegen.
Inzwischen waren Fotografen vom Tal gekommen, die vor Ort anfingen ihre Apparate auszupacken, um zu fotografieren. Interessiert schaute sie zu. Dann kamen die Fotomodelle, schminkten sich oder ließen sich schminken und es wurde spannender für Lizzy zuzuschauen, wie man ein Gesicht verändern konnte.Die Kameras wurden hin und hergeschoben, das Licht schien alle ein bisschen verrückt zu machen und hin und wieder entstand schon mal ein Foto. Skistöcke wurden gebraucht, eine Sonnenbrille und alle sollten sich etwas entspannen. Der Fotograf kam auf Lizzy zu und sie dachte, sie solle aus dem Bild gehen. Doch er fragte sie, ob sie nicht mitmachen wolle, das würde die Szene ein bisschen auflockern.
Sie zeigte auf ihr Bein und meinte, dass das nicht ginge. Der Mann war aber an ihrem Gesicht interessiert und fragte, ob sie sich nicht mal fotografieren lassen wollte mit einer Schneemütze. Sie sei sehr fotogen. „Ich fotogen. Das habe ich noch nie gehört.“ Sie lachte, was den Fotografen sehr entzückte. „Komm, lass Dich fotografieren. Du kannst damit Geld verdienen. Jedes Modell bekommt Geld. Und wenn ich Dein Gesicht ausleihe, dann bekommst Du ebenfalls eine Gage.“ – „Okay,” sagte sie,
Geld können wir Studenten immer gebrauchen. Ich versuch es mal!“
Dann wartete sie ab, was passieren würde. Die Schminktante kam und wollte sie „bemalen“. Doch der Fotograf winkte ab und meinte: „Ohne Schminke! So ist sie viel natürlicher und hübscher. Und sie sollte auch mal lachen. Das wird ihre Natürlichkeit noch mehr betonen.“ Zuerst wurden Aufnahmen gemacht, wie sie am Tisch saß und ein Glas Limo trank. Dann setzte er sie auf den Tisch, hing ihr einen Schal um den Hals und eine süße Mütze auf den Kopf und machte eine Aufnahme so geschickt, dass man ihr Bein nicht sehen konnte. Die anderen Mädels fingen schon an zu murren. Also ging er wieder zu ihnen und machte lustlos ein paar Aufnahmen. Naturschönheiten waren spannender. Am Ende bestellte er Lizzy noch eine Weißwurscht, die sie nicht mochte und bat sie, so zu tun, als würde sie das köstlichste Essen verspeisen. Sie nahm die Weißwurscht in die Hand und dann zuzelte sie an einem Ende. Das sah sehr natürlich aus und sie versetzte sich wirklich in diese Situation und hatte großen Spaß.
Während der letzten Aufnahmen war Edward angekommen und betrachtete ziemlich wütend das ganze Szenarium. Lizzy sah ihn an und meinte: „Na, bist Du traurig, weil wir morgen früh zurück müssen?“ Und er antwortete: „Na und bist Du traurig, weil Du nur halb und nicht ganz fotografiert werden kannst?“ Sie verstand ihn nicht und sie wusste auch nicht, was sie falsch gemacht haben könnte. Als sie anschließend vom Fotografen das Geld für den halben Tag bekam, wollte sie es kaum annehmen. Doch er meinte, sie habe sich das verdient.
Ziemlich schweigend fuhren die vier am nächsten morgen wieder nach München und Lizzy wusste noch immer nicht, was sie falsch gemacht hatte. „Warum bist Du so sauer?“ fragte sie mehrfach. Doch er war nicht in der Lage sich zu erklären.
Dann ging alles sehr schnell
Edward und Felix hatten die Papiere für die Überfahrt nach USA in der Hand. Ebenso ihre gesamten Prüfungsunterlagen und es sollte drei Tage später schon losgehen. Zum Glück waren auch alle Papiere für den VW Bus vollständig und in Ordnung. Sie, die beiden Freunde, wussten es nun, es geht ab nach Amerika. Die Mädchen noch nicht. Edward schwang sich in sein Auto, um noch einmal zu Lizzy zu fahren. Er wollte ihr erklären, was sein Problem war und hoffte auf eine schöne Brieffreundschaft, bis sie zurückkommen würden. Alles kam für ihn jetzt zur Unzeit. Er war verliebt, er war zerstritten und er fuhr zur falschen Zeit nach USA. Sein Magen grummelte und er wusste, dass er sich Lizzy nochmal erklären musste. Während er sich auf den Weg zu ihr machte, überlegte er verzweifelt, was und wie er ihr das sagen sollte, was ihn so beschäftigte. Er klingelte, er warf Steinchen, aber keiner öffnete. Er war völlig irritiert, weil er sie nicht antraf.
Die beiden Mädels trösteten sich mit einem Kinobesuch und tranken danach noch eine Limo. Alkohol war out. Lizzy haderte mit ihrem Schicksal, während Edward ihr jetzt noch unbedingt schreiben wollte. Dringend.
Als er den Brief beendet hatte, fuhr er nochmal zu ihrer Wohnung. Es war spät, aber er warf trotzdem noch Steinchen ans Fenster. Niemand reagierte, obgleich Lizzy die Steine gehört hatte. Sie steckte ihren Kopf unter die Decke und heulte.
Am nächsten Morgen gingen sie normal zur Arbeit und anschließend zur Akademie. Als sie am Abend zurückkamen, waren sie zu müde, um im Postkasten nachzusehen. Sie erwarteten auch keine Post. Und erst am darauffolgenden Abend holte Hannerl den Brief raus. „Oh, oh, das ist Post von Edward,“ meinte sie. „Mach Du ihn auf,“ flüsterte Lizzy und Hannerl weigerte sich. So ließ Lizzy ihn liegen bis zum Mittag, denn sie dachte, jetzt käme von Edward eine Abfuhr aus welchem Grunde auch immer.
Doch als sie ihn dann las, waren die beiden jungen Männer längst schon mit dem Schiff auf hoher See unterwegs in die neue Welt.
Meine liebste Lizzy,
jetzt war ich so viele Male an Deiner Tür und Du warst nicht da oder Du hast nicht aufgemacht.
Ich bin kreuzunglücklich, weil alles so dumm gelaufen ist und ich bereits auf dem Weg nach Amerika bin. Ich konnte Dich nicht noch einmal sehen und auch nicht erklären, warum ich so sauer war. Es hatte so wenig mit Dir und so viel mit mir und meiner „Schwedenbraut“ zu tun. Sie wollte Modell werden und überall, wo sie war, liess sie sich ablichten. Und als Du das auch gemacht hast, dachte ich, ich habe mich in Dir getäuscht. Nur meine Mutter glaubte an Dich und meinte, Du hättest Dich sicher über ein paar Groschen gefreut, als Du fotografiert wurdest. Ich weiß, sie hatte recht und es gibt keine Entschuldigung für mich. Ich wollte mich von Dir verabschieden und fürchte nun, ich habe etwas zwischen uns kaputt gemacht. Du hast sicher bemerkt wie lieb ich Dich habe. Und ich wollte Dich fragen, ob Du das auch zu mir sagen könntest. Aber nun ist es zu spät. Meinst Du, auch wenn ich es nicht verdient habe, Du könntest mir an die Adresse schreiben, die wir in einer Woche in USA erreichen werden. Ein Luftpostbrief dauert ungefähr 5 Tage.Ich werde ihn sehnlichst erwarten, was immer er mir sagen wird.
Wie lange wir dann dort bleiben, weiß ich noch nicht. Felix und ich haben eine Arbeitsstelle bekommen und darüber wird noch geredet werden müssen.Vielleicht muss ich auch deswegen noch einmal nach Deutschland zurückkommen.
Bitte schreib mir!
Dein Edward
Fortsetzung folgt
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