Es muss so um 1943 gewesen sein, als man uns zwei Männer ins Haus brachte, die uns helfen sollten: einen Franzosen und einen Belgier.
Ich weiß bis heute nicht, warum die zu uns geschickt wurden, ich erinnere nur, dass sie in der Schreinerei, die hinter unserem Haus lag, helfen sollten und dem Bauern auch, der ebenfalls mit uns unter einem Dach lebte. Wir als Familie waren aus der Stadt aufs Land gebracht worden, weil Krieg war und die Städte unseres Landes stark angegriffen wurden. Um die Familien zu schützen, brachte man sie aufs Land. Die Bomben fielen vom Himmel und der Feind warf die Bomben nun auch auf Wohngebieten ab und nicht mehr, wie verabredet, über Fabriken. Sie wollten diesen wahnsinnigen Krieg vermutlich schnell zu Ende bringen.
Unsere Familie sollte die beiden abends zu uns zum Essen einladen und, wie mein Vater sagte, „uns anständig benehmen“. Das taten wir eigentlich immer. Ich war ungefähr zwischen 2 und drei Jahre alt und ich kann mich gut an die beiden erinnern. Der Franzose hieß Henri und trug ständig eine Baskenmütze, die aber aussah wie eine dunkelbraune Wärmflasche. Und als er gleich am ersten Abend bei uns am Tisch saß, stand er sofort wieder auf und machte komische Zeichen. Er konnte kaum Deutsch. Als meine Mutter das sah, wie er so rumhampelte, schaute sie ihn freundlich an und hob die Schultern fragend hoch. Er hampelte weiter und als ihn wieder keiner verstand, fasste er mit seinen Händen unter die Hosenträger und versuchte in gebückter Haltung langsam seine Hose runter zu lassen.
Unsere Mutter fing an zu lachen und sagte meinem großen Bruder:
Komm, zeig ihm, wo das Plumpsklo ist. Er muss mal. Daran hätte ich ja gleich denken können.“
Mein Bruder klopfte Henri beruhigend auf die Schulter und winkte ihn mitzukommen. Na, mal sehen wie der gucken wird, wenn er unser Plumpsklo im Garten sieht. Das ist ein sehr kleines, schäbiges Häuschen mit einer Tür. Die macht man auf und gleich muss man sich umdrehen, damit man in der Enge seine Hose runter ziehen kann, denn dann ist der Popo genau über dem Loch in einer Holzplatte. Da kann man alles loswerden, was aus dem Po und dem kleinen Hahn kommt. An der Wand an einem dicken Nagel hing Papier, Papier aus Zeitschriften, Zeitungen, Packpapier und Illustrierten, die wir schnitten, damit täglich genug Papier am Nagel steckte um den Po abzuwischen. Das war abscheulich, denn das Papier war hart und unser Po wurde von diesem Papier auch nie richtig sauber.
Also schloss Henri die Tür ganz schnell, denn er musste sehr dringend. Mein Bruder wartete vor der Tür, weil er ihn wieder ins Haus zurück begleiten wollte. Henri machte viele komische Geräusche, aber endlich tauchte er hinter der Tür wieder auf. Gemeinsam marschierten die beiden zurück zu uns in die große Küche und dort führte ihn mein Bruder zu einer Gosse. Das war ein großes Waschbecken, in dem die Kleinsten aus unserer Familie gewaschen und gebadet wurden. Dort drückte ihm mein Bruder Kernseife in die Hand- Henri wusch die Hände, trocknete sie an einem harten Handtuch ab und anschließend saß er schon entspannter auf dem Stuhl.
Merci, merci, merci,“
stammelte er, während meine Mutter sagte: „Das heißt danke, danke, danke.“
Und mein Vater meinte: „Warum hast Du ihn denn so lange zappeln lassen, wenn Du so gut Französisch sprichst, liebe Frau!“
Ich wollte so gerne wissen, was er unter seiner Mütze hatte, weil er die nie abzog. Ich stellte mich auf den Stuhl neben ihm und schob einen Finger unter seine Mütze. Da sagte er „Non, non, brrrrrrrrr!“Und was heißt das, Mama,“ fragte ich. Mutter legte den Kopf schief, dachte einen Augenblick nach und meinte dann: „Ohne Mütze ist ihm zu kalt.“ Alle lachten. Auch Henri, auch wenn er es nicht verstand.
Bis heute weiß ich nicht, ob das stimmte.
– Fortsetzung folgt –