Das Land war wie in Tinte getaucht, der Himmel fast schwarz und nur an seinem Horizont sah man die Tränen, die er weinte. Noch einmal kam ein heftiger Wind auf, ehe er sich bald darauf sanft verabschiedete.
Heidrun und Marie krochen aus ihrem kleinen Zelt, blickten in die Höhe und schauten wie sich das Wetter langsam verzog. Die ersten Berge waren wieder zu sehen, die sich auf der westlichen Seite mit einem Klacks Nebelschwaden versteckt hatten und jetzt auch ohne Radiergummi wieder sichtbar wurden. Die Mädchen warteten, bis Zelt und alles was draußen während des Regens nass geworden war, wieder trocken war, packten dann ihre Habseligkeiten ein, während sie beide heftig bedauerten nichts zum Essen mitgenommen zu haben.

Nur eine Zitrone hatten sie im Rucksack, um das Wasser ein bisschen schmackhafter zu machen. In die bissen sie beide hinein und hatten das Gefühl, noch nie etwas besseres gegessen zu haben.
Rucksack gepackt, Zelt ebenso, die letzten Heringe aus dem Boden gezogen und so schauten sie sich nach dem Weg um, den sie absteigen wollten. Es gab eine Stelle, wo sie nicht weiter kamen, weil es dort sehr steil bergab ging und am Ende so aussah, als könne man ins uferlose stürzen. Ach, sie waren so richtige Flachlandtiroler.
Dabei waren sie nicht sehr weit in die Höhe gestiegen, um einfach schon mal ein bisschen Abenteuer gehabt zu haben. Nun wurde es doch etwas größeres.
Sie wanderten die Hälfte des Weges zurück, da gabelte sich ein schmaler Pfad, den sie übersehen hatten. Sollten sie den gehen? Klar. schlimmer konnte es nicht werden. Magengrummeln und sich verlaufen, schrecklich.
Aber noch würden sie wenigstens nicht verdursten.
Dieser Pfad schien besser zu sein, auch wenn er viel enger und bewachsener war. Teilweise rutschten sie über größere Felsbrocken, konnten sich aber gut absichern. Allmählich wurde der Weg gerader, zeigte jedoch noch immer nicht bekanntere Ausblicke, dass sie auf dem richtigen Weg ins Tal seien. Dann erreichten sie eine Lichtung und von dort kamen menschliche Stimmen.
Zwei junge Männer saßen vor einem kleinen Häuschen und berieten gerade, ob sie gleich oder später essen wollten.
Heidrun und Marie traten heran.
„Entschuldigt, aber wie kommen wir von hier aus runter ins Tal?“ — „Habts Euch verlaufen? Ja , das is scho blöd, weil genau auf dieser Ebene, wo Ihr grod seids, sich ein paar Pfade teilen, so dass ma nur mit vui Glück runterkummt nach Nussdorf. Da braucht ma scho Spezialisten wie mir, die Euch do obiführn. Kummt, setztst Euch daher, esst mit uns, mei Schwester kocht grod Spaghetti und mir ham uns gfragt, ob mit ner Sossen oder runterschlingen und dann Hoam. Aber Ihr seids jetzt do, da mach mer halt a Soßen dazua und a Radlermass gibts a no.“
Der andere rief zur Schwester: „Antschi, kumm amol her“. Und eine Person mit tausend rothaarigen Locken und vielen Sommersprossen kam aus der niedrigen Tür und fragte: „Wos ist? Ah, zwoa Maderln, habts Euch verlaufen? Kommt her und essts mit uns. I mach noch schnell a Soßen. Legt Eure Rucksäck ab und deckt den Tisch!“ Heidrun und Marie gefiel es gut, dass alles so ungezwungen war, so dass sie gleich die Rucksäcke auf die Seite warfen und zu Antschi rein liefen, um zu helfen. Nur mit der Sprache haperte es ein bisschen.
„Sag, was sollen wir tun? Ich bin übrigens Marie und das da ist Heidrun,“ meinte Marie. „Und wenn Du ein bisschen langsamer sprichst, dann werden wir Euch sicher auch ganz gut verstehen.“ Antschi lachte, zeigte auf Gläser und Teller und sagte nur: „Das Wetter wird sich halten. Drum deckt den Tisch draußen!“
Bald saßen sie alle miteinander vor der Hütte und die drei Bayern lachten fröhlich, wenn die beiden Mädchen nichts verstanden. Der eine hieß Felix und der andere Joseph und war der Bruder von Antschi. Sie war 19 Jahre alt und die jüngste von ihnen, die anderen 21 und 22 Jahre alt. Sie hatten viel Spaß miteinander, so dass sie beschlossen, die Nacht in den Bergen zu bleiben. Felix holte die Zitter aus der Hütte und spielte, während Sepp und Antschi die Mädchen bayrische Vokabeln abfragten.
Sog, wos is oa Oachkatzerlschwoaf?“
„Keine Ahnung!“
„Ein Eichhörnchenschwanz! Und wos is der Boandelkramer?“ Vielleicht ein Krämerladen?“ — „Na, dös is der Tod!“ — „Und könnt Ihr etwas in unserem Dialekt,“ fragte Heidrun. „Sog scho!“ forderte Felix sie auf. „Geherd de Rädde dä? Dös is gschert. Was hoast dös?“ — „Gehört der Hund Dir!“ antwortete Heidrun. „Oder: Henner, geh vom Trotteware, es kimmet ne Dame!“ — „Krutzitürken, welcher Dialekt ist jetzt dös?“ — „Hessisch,“ lachte Marie.
Aber Deutsche sind wir alle. Oder?“
„Wann ma a Aug zuadrucke, dann ja. Sonst seids Ihr Preissen!“
Es war ein wunderschöner lustiger Abend und am nächsten Tag marschierten sie gemeinsam ins Tal runter.
Als sie längstens wieder daheim in Gießen waren, haben sie angefangen einander zu schreiben. Das war Anfang der 60ger Jahre und die Freundschaft hat bis vor kurzer Zeit gehalten. Jetzt sind alle dem Boandlkramer gefolgt. Nur Marie ist noch da. Und die hat nie aufgehört Bayern zu lieben.