„Ein guter Arzt weiß, dass man von seinen Patienten viel lernen kann. Und für uns Augenärzte sind Maler sehr interessante Patienten, weil sie Probleme des Sehens nicht nur schildern, sondern auch bildlich darstellen können.“ Diese Worte kamen von meinem Augenarzt, der mir so unendlich und großartig geholfen hatte bei meinem Augenproblem. Er hat mich inspiriert von dem zu berichten, was er selbst untersucht und herausgefunden hat. Und ich selber verstehe heute ein bisschen mehr was meine Malerei betrifft. Und auch was die Augen alles leisten können. Oder der Mensch!
Mein Augenarzt würde Euch auch sofort mitnehmen, das AUGE zu erklären. Ich kann das nicht. Dafür werde ich Euch lieber die Geschichten einiger Maler erzählen, die auf sehr klare Art und Weise auf die verschiedenen Augenkrankheiten reagierten.
Die einfachste Erkrankung ist wohl der graue Star, wo die Linse eintrübt. Das passierte im Laufe der Jahre bei Monet. Ihr alle kennt ihn sicher. Das ist der Maler mit den Seerosen und der auch seinen Garten so wunderschön gestaltete und anschließend malte.
Monet
Monet bemerkte im Laufe der späteren Jahre, dass er immer unschärfer und dunkler sah und auch so malte. Die Strahlkraft seiner Blumen und hellen Sträucher sank. Er selber meinte, dass er immer dunkler male und die Rottöne schmutziger würden. Die Farbübergänge konnte er nicht mehr erkennen und mischen.
Die Ärzte stellten den grauen Star fest. Linkes Auge massiv, das rechte beginnend. Man riet ihm sich operieren zu lassen. Das war allerdings damals noch nicht so einfach wie heute und Monet weigerte sich, da die Operation bei einigen Freunden misslungen war.
Sein Freund Clemenceau, der während des Krieges Präsident Frankreichs war und Arzt dazu, überredete ihn zur Operation. Monet willigte schließlich ein, zumal nun auch sein rechtes Auge nur noch 10% Sehkraft besaß und er alles durch den Nebel sah.
Damals ersetzte man die trübe Linse durch eine dicke konkave Starbrille, die das Bild des operierten Auges erheblich vergrößerte. Dadurch war es eigentlich nötig, dass auch das zweite Auge gemacht werden musste.Doch Monet entschied sich dagegen, weil er allein für das linke Auge schon fast zwei Jahre gebraucht hatte, ehe es ihm einigermaßen gelang damit zu leben.
Irgendwann arrangiert sich Monet mit seiner Situation und seine Augenärzte halfen ihm mit Augengläsern, so dass er wieder ungestörter malen konnte.
Cezanne meinte über Monets letzte Schaffensperiode von 10 bis 15 Jahren: „Monet – das heißt Schaffen nur mit einem Auge, aber mit was für einem Auge.”
Munch
Munch kennt Ihr sicher auch. Norwegischer Maler, der lange in Paris und Berlin lebte, ehe er nach einem Nervenzusammenbruch nach Oslo zurückkehrte.
Er hatte eine plötzliche Einblutung im Inneren seines rechten Auges. Diese Blutung bildete sich aber im Laufe des Sommers oder Herbstes zurück. Anfangs hatte er große Angst vor Erblindung.
Bluthochdruck war bei Munch bekannt und es könnte ein Venenverschluss gewesen sein, sodass bei dieser Erkrankung eine spontane Rückbildung möglich war. Durch einige seiner Darstellungen geht man davon aus, dass die Blutung außerhalb des Zentrums lag, da die Schatten im unteren Teil der Bilder wie Schattenvögel erschienen.
Auch er stellte sich nach Angst und Panik dem Leben wieder und malte, aber in größerer Reife nach dem Erlebten.
Renoir
Über Renoir habe ich gelesen, dass auch er den grauen Star bekam. Wenn man über neunzig wird, ist das leicht möglich. Er malte so lange er konnte und wir Besucher seiner Ausstellungen wunderten uns später, warum er im Alter nackte Arme, Beine und Busen der Frauen in so grellen weißrosa Tönen malte. Heute wissen wir, das war der graue Star.
Degas
Dann ist da noch Degas neben vielen anderen, die der Professor mir ans Herz legte. Degas hatte sehr früh schon die Makuladegeneration und leider konnte man kaum etwas für ihn tun. Die Ärzte rieten ihm zu Bettruhe und Vermeidung von grellem Licht, was für ihn als Impressionist doch sehr schwer war..
Zunächst hatte er Schleier vor der Augen und er fing an, nicht mehr zusammenhängend sehen zu können..Ein Freund beschrieb:
Ein blinder Fleck im Zentrum behinder ihn. Er kann nur rund um den Fleck sehen.“
Zunächst hatte auch er mit Angst zu kämpfen. Er behalf sich mit Vergrößerungsglas und trotz dieser Behinderung entstanden noch viele Meisterwerke in dieser Zeit. Beim Zeichnen musste er, nachdem anfänglich noch Bleistifte reichten, später Kohlestifte nehmen, die immer breiter wurden.Dann wandelte sich sein Stil und er begann nun Pastell zu seiner bevorzugten Technik zu machen.
Als seine Sehkraft dahin schwand, wandte er sich der Bildhauerei zu. Renoir meinte damals aus Überzeugung: „Der große Bildhauer unserer Epoche ist nicht Rodin, sondern Degas.“ Degas Augenerkrankung beeinflusste seine künstlerische Entwicklung. Oder wie mein Arzt sagte: „Er kompensierte die zunehmend eingeschränkte Wahrnehmung, indem er durch Zusammensetzen von visuellen Bruchstücken eine freiere moderne Art des Sehens geschaffen hat.“
Mutige Maler, die nicht die Flinte ins Korn warfen oder den Pinsel in die Ecke!! Und ich danke meinem Arzt für so viele Geschichten der Maler des vorigen Jahrhunderts, als die Medizin noch in der Kinderschuhen steckte.
Wenn Ihr mal wieder ins Museum geht, schaut Euch die Bilder der Künstler an, die vielleicht ein bisschen anders malen als andere und versucht herauszufinden, ob sie einfach nur neue Stilarten entwickelten oder ein Problem mit ihren Augen bewältigen mussten. Ich habe auch angefangen anders und bewusster zu malen und zu sehen.
Viel Spaß dabei.
Und es stimmt: Alles wird gut. Auch wenn man manchmal ein Jahrhundert warten muss bis man ein Auge gut kennt und es operieren kann.
