„Hallo, hallo,“ rief die alte Dame hinter dem Postboten her, der zuvor bei ihr ein Paket abgeben wollte und geklingelt hatte. Leider war sie nicht schnell genug, denn ihre Knochen wollten nicht mehr so wie sie gerne wollte.
Aber der Postmann bestieg seinen Wagen und fuhr weiter, während sie zum Briefkasten ging, um nachzusehen, ob er eine Nachricht zurückgelassen hatte.
Ja, das hatte er und auf dem Formular stand, wo sie das Paket abholen konnte. „Mein Gott,“ so dachte sie. „Wie soll ich denn zu diesem Platz gelangen, um das Paket abzuholen?“ — Es fährt kein Bus dorthin und keine Bahn und ein Taxi würde für diese Strecke erst gar nicht in Frage kommen. Außerdem hatte sie sich eine Tasche bestellt, die so günstig war, dass sie mal zugeschlagen hatte. Wenn jetzt noch das Geld für das Taxi dazu käme, würde die Tasche insgesamt zu teuer werden.
Was geschieht mit dem Paket, wenn ich es nicht abhole?“
Dann geht es zurück!
Unglücklich saß sie eine ganze Weile da und schaute versunken auf ihre Hände. „Warum kann so ein Postmann nicht ein bisschen länger warten? Warum ist eigentlich die ganze Welt so schnell und hektisch geworden? Ich glaube, das ist nicht mehr meine Welt.“
Resigniert ging sie zurück in ihre Küche, um den inzwischen kalt gewordenen Kaffee auszutrinken. Es hätte mal so ein schöner Tag werden können. „Mein kleines blaues Kostüm hätte ich angezogen, dazu das billige, aber wunderschöne Schnäppchen-Tuch von Woolworth um den Hals geschwungen, die aus der Mode gekommenen Schuhe frisch gewienert wären noch ganz brauchbar gewesen und dazu die weißen, dünnen Handschuhe. Die Tasche sollte die Krönung sein. Und ohne Tasche könnte sie nicht ausgehen, um im Café um die Ecke, nur mit der Geldbörse in der Hand, endlich mal wieder unter die Leute zu kommen.
Sie wollte einen Kaffee Crema trinken, auf den hatte sie sich gefreut, um dem Alltag für einen Augenblick ein anderes Gesicht zu geben.
So ging ihr Tag dahin und sie zog sich wieder zurück in ihr Schneckenhaus und beschloss, die Tasche zurückgehen zu lassen.
Am nächsten Morgen klingelte es wieder an der Türe und diesmal stand sie gerade ganz nah an der Wohnungstür, um sie geschwind aufzumachen. Da stand wieder ein Mann von der Post oder DHL. Ihr war das egal. Und für Sekunden dachte sie, ob er es sich anders überlegt hat und ihr das Paket nochmal bringt.
Aber der Postler fragte nur, ob sie ein Paket für den Nachbarn annehmen könne. Sie nickte stumm, gab ihm ihre Unterschrift und er versprach, eine Karte beim Nachbarn einzuwerfen.
Sie sah ihm nach und bemerkte, dass er die Karte am Ende des Weges in einen Briefkasten steckte.
Am frühen Nachmittag klingelte es bei ihr und diesmal lebte nicht mehr die Hoffnung in ihr, dass es nochmal ein Paket Bringer sein könnte, der ihr abermals ihr eigenes Paket brachte. Sie öffnete aber so schnell sie konnte und war dabei ein bisschen außer Atem.
Ein junger Mann stand vor der Tür und fragte, ob sie die nette Person sei, die das Paket für ihn angenommen habe. Sie nickte und er bedankte sich mit den Worten:
Und wenn ich mal was für Sie tun kann, dann sagen Sie es mir!“
Sie antwortete zögerlich, dass ihr Postmann nicht so freundlich gewesen sei, ihr Paket auch bei irgendwelchen Nachbarn abzugeben. Da fragte der junge Mann zurück: „Und wo ist das Ihrige jetzt? Wieder auf dem Postamt?“ Sie nickte nur stumm und er meinte: „Soll ich es Ihnen schnell abholen oder ist es zu groß für mein Fahrrad?“
Ein Strahlen ging über ihr Gesicht und der junge Mann konnte nicht übersehen, dass er ins Schwarze getroffen hatte. Und so schwang er sich mit ihrer Paketkarte aufs Rad und schon sauste er los.
Keine 30 Minuten später war er zurück und die alte Dame bedankte sich ganz herzlich. „Ich helfe Ihnen gern“, meinte der junge Mann noch, „nur einfach bei mir klingeln. Ab 15 Uhr bin ich meist zu Hause.“ Vergnügt ging er zu seiner Wohnung, die unweit von ihrer Haustür lag.
Die alte Dame öffnete ihr Paket und schaute sich die Tasche von allen Seiten genau an. „War die schön,“ dachte sie und beschloss, den restlichen Tag nur glücklich zu sein. Wegen der Tasche und der Freundlichkeit des jungen Mannes.
Am nächsten Tag um die Mittagszeit begann sie sich umzuziehen, denn noch immer sollte sich das Wetter so halten und recht milde sein. Sie zog ihr Kostüm an, die weiße Bluse, holte das Tuch von Woolworth heraus, glättete es noch ein bisschen, ehe sie es verwegen um ihren Hals band. Der Rock saß noch recht gut, die Schuhe fielen nicht auf, waren aber gut geputzt, und die Handschuhe hatte sie schon in der Hand. Sie trat mit der Tasche, die genau die Farbe des Kostüms hatte, vor den Spiegel und schaute beglückt auf das, was sie sah.
Nun lief doch eine Träne über ihre Wange vor Dankbarkeit.
Sie trat aus dem Haus und plötzlich folgte sie einer Eingebung, bei dem jungen Mann zu klingeln. Sie wollte ihm nur zeigen, wie glücklich sie nun sei, die Tasche zu haben, die in ihrem Paket war. Der junge Mann öffnete, sah sie an und lachte: „Mann, sehen Sie aber gut aus! Haben Sie Lust, das Wetter ist so schön und der Nachmittag so jung, dann könnte ich doch glatt eine halbe Stunde von meiner Zeit investieren und Sie zu einem Kaffee um die Ecke einladen.“ Und bevor sie noch etwas sagen konnte, hatte er schon nach seiner Jacke gegriffen und spazierte neben ihr her.
Mit meiner Oma bin ich des Öfteren unterwegs gewesen, aber die wohnt nun zu weit weg. Vielleicht können wir beide mal so hin und wieder miteinander abhängen. Fänd ich Klasse!“
Während er schon lange wieder zu Hause war, bummelte sie noch ein bisschen durch die kleinen Straßen und fühlte sich wie neugeboren.
Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.