Diese Bilder sind Begegnungen mit dem Gefühl

„Kindchen, wenn ich bei Ihrer nächsten Ausstellung noch lebe, dann möchte ich, dass Sie noch einen kleinen Katalog zu Ihren Bildern herausgeben,“ sagte die alte Dame, während sie schon seit bestimmt einer halben Stunde eines meiner Bilder ansah. Während sie auf dieser Vernissage in Berlin meine Malerei betrachtete, schwitzte ich ziemlich stark, weil mir ein paar Minuten vorher meine Galeristin gesagt hatte, dass dies die Leiterin der „Berliner Akademie der schönen Künste“ sei. Ich solle zu ihr gehen und sie ansprechen.

„Oh, Gott,“ dachte ich, „was soll ich sagen?“ Aber ich ging zu ihr und glücklicherweise sprach sie mich an. „Erzählen Sie mir ein bisschen, warum Sie auf Holz malen?“ — „Weil es für mich so lebendig und warm ist wie der Mensch und sich auch genauso verändert und alt wird. „Über ihr Gesicht huschte ein Lächeln und ich dachte, ich hätte etwas zu Schlichtes gesagt. Schließlich hatten fast alle meine Malerfreunde kein gutes Haar an den Bildern gelassen und auch die Technik ignoriert.

Sie aber gab keine Antwort darauf und meinte nur:

Ich frage mich, ob ich das Bild kaufen sollte?“

Darauf wusste ich keine Antwort und blieb still.

„Soll ich das Bild nehmen oder ein anderes oder gar keines?“ Unglücklich meinte ich nur, das könne nur sie allein entscheiden. „Der liebe Gott hat da auch noch ein Wörtchen mitzureden,“ gab sie dann zur Antwort und fuhr fort: „Ich bin sehr krank und meine Zeit ist bemessen. Aber Ihre Bilder machen mich glücklich!“ Sie sagte es so, als könne sie es nicht fassen! „Dann nehmen Sie sich doch ein Bild und es bleibt bei Ihnen, solange Sie wollen! Auch ohne es zu kaufen!“

Später hörte ich, dass sie ein Bild gekauft und ein anderes geliehen hatte. Und zu dem Bild hatte sie sich von mir noch den Text gewünscht, der eigentlich unter einem anderen Bild stand, jedoch auch von mir stammte. 

Strahlend blauer Himmel — 
Sonne, die graue Mauern beschien —
ich dachte Sommer, heißer Sommer —
Sommer, ein wunderbares, lebendiges Leben —
schließ die Augen und vergiss nicht diesen Augenblick —
er wird Dich immer an das Jung-sein erinnern —
und es ist köstlich, weil Du dort gelebt hast.

Meinen kleinen Katalog habe ich noch drucken lassen, so, wie sie es mir geraten hatte. Dazu ließ ich mir einen Textauszug 

von Saint-Exupéry aus „Die Stadt in der Wüste“ genehmigen..

Einer meiner Söhne, Michael, der sehr gut fotografieren konnte, so wie unser Nachbar Uwe, zu dessen Ausbildung auch das Fotografieren gehörte, lieferten mir die Fotos. Ein ehemaliger Freund aus Kassel gestaltete mit mir den Katalog und druckte ihn. Dazu meinte er noch, ob ich den Katalog mit dieser Art von Bildern nicht meiner Familie widmen wollte. Das tat ich dann auch. Ich nahm meine ganze Familie damit in Besitz, ob sie es wollten oder nicht. 

Meine Galeristin schickte mir von meiner letzten Vernissage eine Kritik, wobei ich nur die letzten sechs Zeilen verwendete, die ich besonders schön fand:

Bilder sind manchmal Begegnungen.
Bilder sind manchmal Gefühle.
Hier sind Bilder Begegnungen mit dem Gefühl.
Ich verlasse die Ausstellung.
Ich stehe draußen vor der Tür.
Und es begegnen mir die Menschen.

Und dafür, dass die Bilder primitiv gemalt sind, voller Sentimentalität, dazu noch auf Holz, Gesichter ohne Gesichter, die Gestaltung schlicht und ohne intellektuellen Anspruch, erweckten sie Emotionen: Bei den einen Wut, und bei den anderen Gefühle. Ich verwendete die einfachsten Formen der Natur.

„Sie treffen aber die Essenz der Dringlichkeit. Somit führen Sie direkt einen Kanal in das, was ist: direkt in das Wesentliche.“

Kurt Weiskopf

Meine Professorin habe ich nie wieder getroffen. Sie starb und hinterließ die beiden Bilder ihrer Tochter mit einem kleinen Brief: „Schau tiefer in Dich hinein und nicht zu schnell, Deine Mummi!“

„Was immer das auch bedeutete“, sagte sie unserer Galeristin. „Diese Bilder sind eigentlich zu direkt für meine Mutter!“, meinte sie dann kopfschüttelnd und die Galeristin sagte:

Vielleicht hatte sie keine Zeit mehr für Umwege.“

Herbst