Elvira lag 2 Wochen im Bett, ehe sich ihre Lungenentzündung besserte. Wenn sie sich reckte und streckte, empfand sie endlich wieder Erleichterung und die Kraft, so spürte sie, kam wieder zurück.
Sie wohnte im ersten Stock eines Blocks, der einen hübsch gestalteten Innenhof hatte. Jeder im Hause schmückte den Hof mit Blumen, stellte Stühle und Bänke auf oder auch Sonnenschirme, die gegen jedes Wetter schützen sollten.
In den letzten Wochen kam täglich um zwei Uhr nachmittags ein Gitarrenspieler in den Innenhof und sang. Er hatte eine warme Stimme und Elvira empfand sie wie Streicheln. Ihr Wunsch wurde größer, bald wieder in den Hof zu gehen, um den Sänger zu hören und zu sehen.
Manches Lied erkannte sie aus uralten Zeiten und oft summte sie die Melodie mit. Allmählich nahm der Sänger für sie Gestalt an und sie meinte ihn direkt vor sich zu sehen. Einige Male schaute sie aus ihrem Küchenfenster, weil sie ihn von dort aus besser sehen konnte . Doch immer stand er mit dem Rücken zu ihr und trug eine Mütze. Für sie war er groß und von schöner Gestalt.
Die Tage vergingen und dann endlich ging Elvira vorsichtig die Treppen hinunter, um nach so vielen Tagen endlich wieder draußen zu sein. Es war noch keine zwei Uhr und so setzte sie sich auf einen der Stühle und freute sich, dass das Wetter so sanft und milde war. Die Minuten verrannen sehr langsam für sie und sie spürte, wie sehr sie auf den Moment wartete, den wunderbaren Sänger zu sehen.
Und dann kam er vor sich hin schlendernd und setzte sich direkt neben Elvira, lächelte sie schüchtern an und schlug die erste Saite, ehe er anfing zu singen.
Er war viel kleiner und hatte eine gedrungene Figur. So gar nicht das, was Elvira sich vorgestellt hatte. Ein bisschen enttäuscht war sie. Dann aber schloss sie die Augen und gab sich ganz der Schönheit seiner Stimme hin. Manchmal summte sie wieder mit und erinnerte sich an die Lieder, die ihre Mutter manchmal sang. „Ännchen von Tharau“…eine uralte Weise und kein bisschen modern und angepasst. Aber es klang wie Heimat, Erinnerung und Kindheit.
Dann ging er, verneigte sich vor ihr, lächelte erneut dieses scheue Lächeln und nahm die Gitarre über die Schulter.
Er kam nie wieder.
Elvira dachte viel an ihn und immer, wenn sie Straßenmusikanten sah und hörte, ging sie, um den Sänger zwischen den Menschen zu suchen.
Ihr fiel auf, dass sie dies auch in anderen Städten, die sie besuchte, tat. München, Hamburg, Barcelona, Regensburg, Wien, Schaffhausen und allmählich gefiel ihr dieser Gedanke, die Städte zu besuchen, weil es etwas zu suchen gab.
In Kaunas fand sie einen wunderschönen großen Platz mit vielen Kreuzen. Sie ließ sich nieder und betrachtete diesen Ort der Stille mit leiser Wehmut. Dann hörte sie „Ännchen von Tharau“ …und Tränen schossen ihr in die Augen. „Ännchen von Tharau“, wie lange hatte sie das nicht mehr gehört. Sie hörte einen Augenblick zu, wischte die Tränen weg und sah direkt in das Gesicht ihres Sängers.
Keine sechs Wochen später heirateten sie.
Und wenn sie nicht gestorben sind , so leben sie noch heute.
Ein wahres Märchen.