Es war zu Beginn der 60iger Jahre, da beschlossen Johanna und Elisabeth nach den letzten Prüfungen ihrer Schule und Lehre nach München zu gehen. Sie hatten beide ein bisschen Geld gespart, um in München ein neues Leben zu beginnen. Die Eltern waren zwar dagegen, doch sie waren nicht zu bremsen und durften schließlich in die große weite Welt ziehen. Aller Anfang war schwer. Johanna bekam jedoch bald eine Stelle als Schaufensterdekorateur, musste allerdings auch mit verkaufen, während Elisabeth länger suchte, um wenigstens als Plakatmaler einen Arbeitsplatz zu bekommen. München war voller Künstler, die Bezahlung schlecht und meist reichte ein Arbeitsplatz allein nicht aus, um zu überleben. Johanna spielte abends noch Bedienung in einer Jugendkneipe und Elisabeth sang Schlager aus der Zeit…
Aber all das machte ihnen nichts aus, Hauptsache sie überlebten und konnten sich einigermaßen ernähren.
Das erste Jahr flog nur so dahin und schon im zweiten Jahr überlegten sie, ob sie mal in Urlaub fahren könnten. Sie guckten sich Südtirol aus und freuten sich auf den Tag, wo es wieder galt ein Abenteuer zu überstehen, wenn man nur die Eisenbahn bezahlen konnte und nicht mehr. Sie trafen eine Bäuerin in der Eisenbahn, die aus Bozen kam, einen Bauernhof besaß und besonders Elisabeth zur Verzweiflung brachte den Dialekt zu verstehen. Die lud sie beide ein, bei ihr zu wohnen und verlangte nichts anderes von ihnen als jeden morgen und jeden Abend die Äpfel aufzuheben, die von den Bäumen fielen.
Das waren wunderbare Tage und die Arbeit hielt sich total in Grenzen. Sie stiegen in die Berge, genossen das Licht am frühen Abend, wenn die Sonne unterging, der Rosengarten voll erglühte, sie wanderten durch die vielen Gärten und fühlten sich frei und wie im Paradies. Dann hieß es wieder Abschied nehmen und sie fuhren mit der Bahn zurück, was allerdings nicht ganz ungefährlich war, denn es war die Zeit, wo die Italiener schon um Tirol kämpften und manche Bombe einen Zug traf.
Sie kamen spät am Abend in München an und weil ihre Haustüre um Mitternacht geschlossen wurde, nahmen die beiden eigentlich so sparsamen Mädchen sich ein Taxi, um nicht vor verschlossener Tür zu stehen. Sie stiegen ein, nannten die Adresse und dann fuhren sie los. Der junge Taxifahrer schaute immer wieder in den Rückspiegel und blickte auf Elisabeth. Die wurde langsam unruhig und fragte sich, ob sie wohl eine schwarze Nase habe. Und als sie vor der Haustür angekommen waren, dazu noch sehr pünktlich vor Mitternacht, fragte sie ihn, was ihm an ihrem Gesicht so irritierte oder missfallen würde. „Gar nichts,“ lachte er und verabschiedete sich. Und die beiden Mädchen krochen endlich ins Bett.
Mei, war das schön,“ lachte Johanna, ehe sie einschliefen.
Am nächsten Tag war wieder Arbeiten angesagt, so dass sie beide erst gegen Abend zum Durchschnaufen kamen. Als Elisabeth endlich noch ein bisschen verdreckt zur Feierabendzeit nach Hause kam, stand der junge Mann vom vorigen Abend vor der Türe. „Hast Du Lust, ein paar Schritte mit mir zu gehen,“ fragte er und sie sagte sofort „Ja“ ohne sich umziehen zu wollen. „Das gefällt mir,“ meinte der junge Mann und fasste ihre dreckigen Finger an. „Du meinst, weil ich mich nicht erst frisch gemacht habe? Du wolltest doch nur ein paar Schritte mit mir gehen, einfach so zum Reden.“ – „Stimmt, und dafür muss man nicht großartig Zeit verplempern und geht halt mit.“ Elisabeth lachte und meinte nur, dies sei ihre Arbeitskluft und da die Arbeitsstelle nicht weit entfernt wäre, würde sie sich eben lieber daheim duschen. Nach einer Weile kehrten sie um, sie verabschiedete sich vom Taxifahrer und ging wieder in Richtung Wohnung. „Machs gut, bis dann einmal!“ – „Ja servus, bis dann!“ erwiderte er, winkte und meinte, nun müsse auch er Geld verdienen als armer Student.
Johanna war erstaunt, als Elisabeth so spät kam und fragte, wo sie gewesen sei. „Ich bin halt mit dem Edward ein Stück des Wegs gegangen. Ich weiß eigentlich nicht, warum er da war. Vielleicht mag er uns.“ –
Edward, welcher Edward?“ – „Unser Taxifahrer!“ – „Ach so, der!“
Am nächsten Abend nach der Arbeit stand er wieder dort und in den vielen darauffolgenden Tagen ebenso, so dass er allmählich immer wusste, mit welchen Farben sie an den unterschiedlichen Tagen gemalt hatte. Es war lustig mit ihm und sie lachten viel miteinander.
Eines Tages fragte er Elisabeth, ob sie mal mit ihm in den Biergarten gehen wolle, um ein Radlermaẞ zu trinken. „Gerne, sag mir wann. Dann komm ich!“
Sie zog das einzige Dirndl an, dass sie hatte und wartete schon vor der Haustür, als er kam. „Du hast ja gutes Wetter bestellt. Schön, dann gehen wir gleich.“ Er erzählte eine Menge über seinen zukünftigen Beruf, dass er nochmal nach Amerika möchte, um zusammen mit seinem besten Freund die Westküste lang zu fahren. Sie hatten sich schon einen kleinen VW-Bus umgebaut und immer, wenn sie Zeit hatten, daran gebastelt. Den würden sie mit auf das Schiff nehmen, um später Touren zu machen. Und außerdem wollten sie wenigstens ein Jahr in Amerika arbeiten, um das Gefühl zu bekommen wie es ist, in einem anderen Lande seine Brötchen zu verdienen. „Dazu brauchst Du aber eine Arbeitserlaubnis,“ fiel sie ihm ins Wort. „Ja, ich weiß,“ gab er zurück, „das kommt schon noch!“
Sie suchten einen schönen Platz und Elisabeth wartete gespannt, was er noch weiter zu berichten hatte. „Ich wollte eigentlich nichts von Amerika erzählen, sondern Dir etwas zeigen.“ Er holte einen Briefumschlag aus der Tasche, öffnete ihn und zog acht größere Fotos heraus. „Schau Dir mal die Fotos an und sag mir, was Du da siehst.“ Völlig erstaunt sah sie auf die Fotos und bemerkte dann:
Die sieht ja aus wie ich! Aber das bin ich nicht.“
„Nein, das bist Du nicht, aber sie sieht Dir so ähnlich. Das einzige, was anders ist: Sie ist eine Zicke! Sie ist Schwedin, ihre Eltern sind stinkreich und sie wird sehr verwöhnt. Einen Sommer war ich mit ihr zusammen. Aber dann konnte ich sie nicht mehr ertragen. Dabei ist sie wirklich wunderhübsch. Doch ich lief vor ihr davon. Siehst Du, das war der Grund, warum ich Dich am Anfang immer so angestarrt habe. Du sahst aus wie sie, aber Du bist ein ganz anderer Mensch! Das muss man erst einmal schnallen. Irre!“ Elisabeth schüttelte den Kopf: „Dass noch jemand so rumläuft wie ich. Ich habe nicht gewusst, dass es mich zweimal gibt. Und nun?“ fragte sie weiter.
„Ich hätt schon gern, wenn Du meine Freundin würdest,“ lachte er dann. „Na gut,“ antwortete sie, „dann sind wir jetzt befreundet. Du kannst mal meinen Namen ein bisschen Verbayrischen.“ – „Okay! Du bist für mich jetzt Lizzy und Deine Freundin, Johanna, ist dann das Hannerl. Einverstanden! Aber ich hätte Dich gern zur richtigen Freundin! Wie Du ausschaust weiß ich ja schon lang, aber dass Du so nett bist, weiẞ ich erst seit ich Dich kenne.“ – „He, he, so schnell schießen die Preußen nicht, wie Du weißt. Dazu gehören immer zwei! Schaun wir also mal.“ Damit lief sie fröhlich winkend nach Hause.
Fortsetzung folgt
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