Robert und Helga waren ganz alte Freunde und haben sich auch in den letzten 65 Jahren ihres Lebens nie aus den Augen verloren.
Nun schrieb er ihr aus Amerika, dass er einmal nach Deutschland kommen wolle, um alte Bekannte zu sehen und besonders sie dürfe dabei nicht fehlen.
Robert und Helga kannten einander schon, als Helga frisch und jung nach München kam, um Kunst zu studieren. Und Robert wollte das auch. Nur er hatte schon früher angefangen als sie. Er ärgerte sie manches mal, dass er schon viel weiter sei als sie. Allerdings stimmte das auch und so ließ sie ihn gewähren.
Die schönste gemeinsame Zeit hatten sie, als sie beide zu einem Studium nach Süditalien reisten. Begeistert erlebten sie die Landschaft, die Menschen und vor allem die Farben. Die waren zwar nicht von der eigenartigen frischen Leuchtkraft der Toscana, sondern eher ein bisschen verstaubt, aber schön in ihrer Stumpfheit. Denn keine Farbe drängte sich vor, jede hatte Platz zum Sein.
Ihr italienischer Professore stellte bei Robert und Helga immer wieder fest: „Robert, gib Deinen Bildern eine Erde!“ — Und zu Helga sagte er: „Lass die Erde ein bisschen los und schick sie in Richtung Himmel.“ Sie wussten beide, was er ihnen sagen wollte, aber noch fanden sie nicht die richtigen Wege dahin.
Als sie ins kleine Dorf kamen, wo sie die nächsten Monate arbeiten wollten, verloren sie beide ihre richtigen Namen. Robert nannten alle sofort Barbarossa. Er hatte einen roten kurzen Bart. Und Helga bekam den Namen Marina, nach irgendeiner Schauspielerin, der sie ähnlich sah.
Sie erlebten Kunst, sie erlebten schlimmste Tiefschläge, aber ihre Jugend und der Optimismus siegten immer wieder.
Barbarossa fand eines Tages den Weg mit Marina zu einer kleinen Kapelle und auf einmal ließ er sich nieder auf die Knie, legte den Kopf auf die Hände und blieb lange still.
Ich weiss jetzt, was ich malen will,“
so meinte er dann,“ ich werde Kirchen restaurieren oder auch bemalen.“
Und das wurde dann auch sein Weg. Marina erinnerte sich noch, dass er eines Tages an einem Wettbewerb teilnahm, eine Kirche von innen auszugestalten und Barbarossa bewarb sich und… gewann. Es sollte nur eine kleine Kirche in Amerika sein.
Bis zu seiner Abreise war er glücklich und den ganzen Tag in Hochstimmung. Er hatte so etwas wie sein Lebensziel gefunden.
Marina konnte ihn gut verstehen.
Von da an schrieb er ihr hin und wieder, erzählte, was für wunderbare Dinge er gestalten durfte und wie erfüllt er von dieser Kunst sei. Und Sehnsucht nach Deutschland hatte er ganz selten. Höchstens mal nach ihr.
Die Jahre gingen ins Land. Marina, sie blieb seit Italien bei diesem Namen, hatte geheiratet, drei Kinder bekommen, die nun schon lange aus dem Haus waren und seit ein paar Jahren lebte sie nun auch allein, ihr geliebter Mann gestorben.
In all den Jahren war sie auch immer noch als Malerin tätig, machte Ausstellungen, war glücklich, durch die Kunst so ausgeglichen zu sein. Sie sagte oft: „Ohne die Malerei würde ich heute in dieser verrückten Welt einen Psychotherapeuten brauchen. Aber selbst mein schlechtestes Bild bringt mich beim Malen in eine gewisse Hochstimmung.“
Und nun wollten sich die beiden nach langen Jahren wiedersehen. Auf dem Hochries, wo es nach vielen Jahren endlich eine Gondel gab, die die Menschen nach oben brachte. In ihrem Alter von über 85 Jahren hätten sie es nicht mehr gewagt zu laufen.
Barbarossa war schon da, als Marina aus der Bahn stieg. Sie atmete gut durch und freute sich auf ihn. Er stand neben der Bahn, noch immer sehr aufrecht, sein Bart war mittlerweile orange bis weiss und das Haupthaar sehr schütter. Doch es störte überhaupt nicht und Marina freute sich, ihn so zu sehen. Ob er sie erkennen würde? Eine alte Frau unter den vielen Jüngeren zu finden, war vermutlich kein Problem.
Griass di God, mei liabste Freindin“
sprach er im breiten bayrischen Dialekt und sie umarmten sich wie Herzensfreunde. „Oid san mer schon worden, aber guat schaun mer beide noch in die Welt“, meinte er dann. Marina wusste noch nicht viel zu sagen und war einfach nur von Herzen froh.
„Mei, Du sogst nix. Mi wundert bloss, warum i so happy bin, dich zu sehn. Ober Mannsbilder und Weiberln kenne jo eigentlich koa Freinde net sein,bloss mir zwoa.“
„Das stimmt. Bei uns hat immer nur das Herz geschlagen, aber nie hats Bumm gemacht!“ antwortete sie endlich. Sie fassten sich an die Hände und bummelten zur Hochrieshütte hinüber. „Mei, dös is ois no immer so schee!“, seufzte er dann.
Sie bestellten Leberkas wie einst, dazu einen Radler und zwei Brezeln. Er konnte sich noch erinnern, was sie beide vor über 50 Jahren gegessen hatten. Anschließend legten sie sich auf Liegestühle, möglichst dicht zusammen und erzählten sich wahllos und unsortiert aus ihrem Leben.
Irgendwann schliefen sie ein und als sie erwachten, lachte er laut und meinte nur: „Aber jetzt ham mer wenigstens zam geschlafen.“ Und sie antwortete: „Ach, Du Angeber!“
„Lass es Dir für immer gut gehen,“ meinte sie noch beim Abschied und er wollte sie fast nicht loslassen. Aber auch ohne Worte wusste sie, er hatte sein Glück gefunden in seinem Leben: Die Malerei zur Ehre Gottes! Egal, was andere denken.