Mit Fieber und Halsschmerzen nach Italien

Gerade hatte ich meine Arztrechnungen durchgeschaut und anschließend ein paar noch offenstehende Rechnungen beglichen, ertappte ich mich dabei, wie ich bei alten Krankenberichten hängen blieb. Mein Gott, was hatte ich schon alles vergessen, was ich mal hatte. Lauter Kleinigkeiten! Eine Bakerzyste, eine Zyste im Auge, einen Bauchdeckenriss, einen Fersensporn, einen Armbruch.

Ich blätterte weiter zurück. Ach ja, da hatte ich vor vielen,vielen, vielen Jahren mal eine Mandeloperation. Wenn ich daran denke, wird mir heute noch ganz schlecht. Zu der damaligen Zeit gab es noch keine Operation, es war so ein Zwischending. Tatort München.

Am OP-Tag durfte man nichts essen, das war normal, egal wie groß oder klein der Eingriff war. Es war eine OP. Ich ging zu Fuß in einen Behandlungsraum und setzte mich dort in einen Stuhl, der mir zugewiesen wurde. Anschließend band man mir ein Lätzchen aus Gummi  um und gab mir eine Schale in die Hand.

Nicht unfreundlich, aber ansonsten schweigsam, wies mich der Arzt an, die Schale unter das Kinn zu halten. Ich musste den Mund aufmachen und man vereiste meinen Rachen, er nahm dann eine Schere oder Zange und machte schnipp schnapp und die beiden Mandeln fielen in die Schale.

Dabei hatte ich nicht viel gespürt außer Angst, weil keiner mit mir geredet hatte, was mit mir geschah.

Wie es direkt weiter ging weiß ich eigentlich nicht mehr, außer, dass ich dann in einem Krankenbett lag, als alles vorbei war. Ich konnte kaum schlucken und man tröstete mich kurz wie ein kleines Kind damit, dass ich bald ein leckeres Eis bekommen würde, weil ich noch nichts Festes essen durfte. Zwischenrein kam eine nette Schwester und gab mir eine Lutschtablette, die gut für den Hals und gegen die Schmerzen sein sollte. Aber ich spürte kaum eine Besserung, denn wann immer die Spucke die Kehle runter lief und ich schlucken musste, spürte ich die große Wunde, die sich bis in meine Ohren hinein zog und weh tat. Es half mir auch wenig, als am ersten Sonntag, Besuchstag, meine Freundin kam und mir einen wunderschönen Strauß Margeriten mitbrachte. Ich machte auf sie einen grauenhaften Eindruck, der ihr ewig blieb.

Einmal am Tag rauschte ein Arzt mit seinem Geschwader durch die Krankenzimmer und Flure und wir wussten:

Das waren die Götter in Weiß.

Und wir einfachen 2. oder 3. Klasse Patienten waren es nicht wert, dass sie mehr als einmal fragten, ob alles okay mit uns sei.

Diese Ärzte gibt es heute nicht mehr, denn heute sind es keine Götter mehr und viel zu viel lastet auf ihren Schultern. Ihre Ausbildung ist lang und ihr Dienstplan ebenso und schmal das Gehalt. Vor allem, wenn man weiß, wie lang heute ihre Ausbildung dauert.

Nach 8 Tagen wurde ich entlassen mit 39 Grad Fieber und weiteren Lutschtabletten. Zwei Tage später wollte ich Urlaub in Italien machen. Ob ich das schaffen würde?

Mit Mühe packte ich meinen Koffer, meine Freundin, mit der ich damals zusammen wohnte, half mir dabei. Am nächsten morgen fuhr ich zur Sammelstelle, um mit dem Reisebus gen Süden zu fahren. Die Tour war lang und meine Schmerzen unerträglich, so dass ich beschloss, mit unserem Busfahrer nach Ankunft und Schlafpause wieder zurück zu fahren. Ich war sehr traurig, weil es das erste mal sein sollte, dass ich Italien und das Meer sehen würde. Wir kamen irgendwann auf die italienische Autostrada. Wir fuhren über Parma, Bologna, Florenz, an Rom vorbei und irgendwann machten wir halt, um auf die Bucht von Neapel zu sehen.

Mein Gott, war das schön, so dachte ich.

Weiter an Pompeji vorbei, über Salerno und in die Nähe von Paestum. Dann erreichten wir das kleine Feriendorf Tortorella.

Ich weiß nicht, ob es das heute noch gibt. Wir stiegen aus und unser netter Busfahrer half mir meine Hütte zu finden und verließ mich mit den Worten: „Bis morgen früh, ich wecke Dich, wenn ich losfahre.“ Meine Hütte hatte nur eine Liege und einen kleinen Spind für das Nötigste. Zwischen Dach und Wänden war ein breiter Schlitz, durch den der sanfte Abendwind zog und die letzten Salamander suchten sich dort ihren Schlafplatz. Unsere Hütten standen 3 Meter vom Meer entfernt auf einer kleinen Anhöhe.Ich würde am nächsten Morgen nochmal einen Blick aufs Meer werfen, ehe wir wieder von dannen zögen. Ich schlief fast sofort ein.

Am nächsten morgen wachte ich auf und fühlte mich frisch und neu. Was war das? Keine Schmerzen mehr, kein Fieber! Und als unser Busfahrer kam, wusste er gleich:

Das Meer hat Dich geheilt. Jod hat Dich gesund gemacht.“

Es waren wunderschöne Ferien! Mein erster Urlaub und mein erster Urlaub am Meer! Den werde ich nie vergessen. Blaue Lagune, Höhlen mit Schnulzenmusik und toller Akustik und immerwährender blauer Himmel. Abends Essen am gemeinsamen Feuer und später Tanz, allein oder mit Partner. Egal. Sanfter Mond und romantische Gefühle.

Das einzige, was ich viel später noch erinnerte, war, dass meine Freundin sich ebenfalls die Mandeln rausnehmen lassen sollte, aber dies nicht tat, weil mein Anblick im Krankenhaus sie damals völlig fertig gemacht hatte.

Sie ließ sich 20 Jahre später die Mandel rausnehmen – mit Narkose – und wurde schwer krank.

Wer weiß schon, was richtig ist.