Bevor es wieder endgültig regnen wird und der Himmel so verhangen und dunkel ist wie angesagt, will ich den Tag nochmal genießen. Am Freitag soll es zur falschen Zeit natürlich schneien und ich hoffe, dass die Blumen und Sträucher, die wie immer Jahr für Jahr hoffnungsfreudig zu ihrer eigenen Zeit die Blüten öffnen, nicht wie ungezogene Kinder eines auf den Deckel kriegen.
Es blüht schon seit Januar die Heide, es folgten die Kamelien, von denen drei in unserem Garten stehen und seit gestern fangen die ersten Azaleen und Rhododendren an ihre Knospen zu öffnen.
Das Wetter hat sich in diesem Jahr von einer ganz schlechten Seite gezeigt. Besonders am Anfang war es düster und sehr verregnet. Als die Heide blühte, viel zu früh, waren in kurzer Zeit die ersten Hummeln da und torkelten trunken in die Blüten hinein. Und seit Wochen flattern nun auch schon die Schmetterlinge umher. Ein quittegelber ist besonders hartnäckig und dreht den ganzen Tag seine Runden, während die Pfauenaugen scheinbar nur Tagesausflüge machen. Die Frösche sind diesmal in noch größerer Zahl aufgetaucht und ich hoffe, es sind nicht so viele quakende dabei. Bisher hatten wir nur sittsam schweigende.
Januar und Februar waren meist dunkle nasse Tage und zusammen mit Corona-Nachrichten deprimierend. Am 24. Februar begann dazu noch der Ukraine Krieg, der noch immer dauert.
Aber der fast ganze März war dann trocken und der Himmel wunderbar blau. Zur falschen Zeit zu trocken, zur falschen Zeit der Krieg und ich stelle fest, dass mein Umfeld eigentlich Lust hatte auf „fröhlich sein“, sich aber nicht traute, weil wir Tag für Tag und Abend für Abend schreckliche Bilder im TV sahen, wie die Menschen auf der Flucht waren, die Bomben auf die Häuser der Ukrainer fielen und man das Gefühl hatte, die Welt ist aus den Angeln gehoben. Wir dachten, dass es für uns Alte keinen Krieg mehr geben würde und, dass die Jungen ihn niemals mehr kennen lernen müssten.
Syrien, Afghanistan, Jemen und weitere Brennpunkte waren für uns weit weg.
Heute will ich das erste mal den Rasen mähen, der schauerlich aussieht. Rumpelnd geht der Rasenmäher über die gesamte ziemlich trockene Fläche und ich schaue mir an, was der Rasen außer Wasser noch benötigt. Auf jeden Fall werde ich ihn vertikutieren müssen und anschließend noch nachsäen. Im Augenblick aber bin ich froh, dass ich erst einmal fertig bin und der Rasen wenigstens etwas ordentlicher aussieht.
Es ist früher Nachmittag und ich setzte mich auf die Bank, die im Garten steht. Die Vögel sind schon eifrig am Nester bauen, der Himmel ist noch immer blau und ich muss oft mehrfach hinschauen, um die Rotkehlchen zu sehen, die ziemlich weit am Boden picken und sammeln.
Plötzlich bleibt ein Rotkehlchen vor meinen Füßen hocken und ich habe das Gefühl, dass es mich ganz munter anschaut. Ich erstarre und will es nicht erschrecken. Das Pieperle kommt immer näher und hüpft auf den Tisch und neben meine Hand. Da liegen ein paar Körner vom darüber hängenden Futternapf. Der kleine Vogel schnappt sich ein Körnchen, futtert zutraulich und ohne Hast. Dann schaut es mich wieder und wieder an, so dass ich mutig werde und meine Hand ein bisschen in seine Richtung schiebe. Der Vogel bleibt. Ich schiebe ihm noch ein Körnchen zu. Der Vogel frisst und bleibt. Und ein letztes Körnchen. Der Vogel frisst und bleibt.
Es ist der schönste Tag im Garten, den ich in diesem Jahr bisher hatte.
Das Rotkehlchen schaut noch einmal ein bisschen um sich und fliegt dann davon, bleibt aber immer irgendwie in meiner Nähe. Vielleicht wird es morgen wiederkommen. Vielleicht.
Plötzlich ist es egal, ob das Wetter gut oder schlecht war oder ist. Ich habe ein großes Glück verspürt und Vogel und Mensch waren sich ganz nahe.