Freundschaften von damals

Wie immer …

Es war kein jungfräulicher guter Morgen mehr, sondern schon ein in die Jahre gekommener Vormittag, als mein Paul und ich uns an den Frühstückstisch begaben. Auch wir beide mit unseren über 70 Jahren waren schon angegraut, doch vom Gefühl her noch aufgekratzt und zufrieden.

Gemütlich goss ich den Kaffee ein, während Paul unsere Semmel durchschnitt, um mir, so wie immer, den oberen Teil vom Brötchen zu geben, während er, auch so wie immer, zufrieden in den unteren Teil biss, nachdem er Butter und Marmelade drauf gestrichen hatte. Und so saßen wir schweigend und zufrieden da.

Es klackte am Postkasten und so stand ich kurz auf, um die Post zu holen. Die Zeitung und einige Briefe in der Hand kam ich zurück, um alles gerecht an uns zu verteilen: Der vorderste Teil der Zeitung ging an meinen Mann, so wie immer, der letzte Teil an mich. Dann wurden die Briefe verteilt. Und da war heute ein Brief dazwischen, der so gar nicht in die übliche Post passte. Ein Brief, der ein wenig unsicher Pauls Namen trug und dem ein leichten Duft nach 4711 oder ähnlichem anhaftete. 

„Hier ist ein Brief für Dich,“ sagte ich und gab ihm den Umschlag in die Hand. „Ach, nein, mach Du ihn auf. Ich will erst mal diesen Artikel lesen.“ – „Ich mache diesen Brief nicht auf. Er ist an Dich gerichtet und kommt von einer Frau,“ antwortete ich. „Von welcher Frau?“ Ich drehte den Umschlag um und las:

Franzi Fronen oder Frohen.“

„Franzi,“ überlegte er und nach einer ganzen langen Pause nahm er den Brief in die Hand und öffnete ihn. Und dann las er.

Derweil ordnete ich meine Post. Doch bei mir gab es nichts spannendes außer ein paar Rechnungen, auch so wie immer. 

Paul reichte mir grinsend den Brief rüber und meinte lächelnd, „Das ist aber lang her, dass ich mit dieser Frau, nein, damals war sie noch ein Mädchen, befreundet war. Lies mal, der ist nett der Brief.“

Ich fing an ihn laut zu lesen, doch schon nach kurzer Zeit las ich leise weiter:

Lieber Paul,

im Augenblick sitze ich auf dem Dachboden, weil ich einige Fotos suchte. Da fiel mir einer Deiner Liebesbriefe an mich in die Hände und ich begann sie zu lesen. Mein Gott, Du konntest so schön schreiben und hast mich mit Deiner Post immer glücklich gemacht.

Durchs Dachfenster scheint die Sonne und ich lese Deine Zeilen und fühle mich für einen kleinen Moment zurückversetzt in unsere Vergangenheit., in unsere Jugend. Ja, wir beide haben immer vierhändig Klavier gespielt und wenn es geklappt hat, gaben wir uns einen zarten Kuss auf den Mund. Und manchmal gingen wir tanzen, was ich noch gar nicht gut konnte. Aber Du hast mich so sicher geführt, dass ich meinte, ich bräuchte es nicht mehr zu lernen, wenn Du bei mir bist. Besonders beim „Mariandl“.

Ich schicke Dir diese Zeilen an Deine Lebens Adresse, die Du mir mal gegeben hast, und hoffe, dass Dich diese meine Zeilen in Gesundheit  erreichen und Du noch weißt, wer ich bin. 

Es war schön, dass Du diesen kleinen Augenblick bei mir warst.

Liebe Grüße Franzi.

„Oh, Paul, was für ein süßer Brief. Da musst Du aber antworten,“  sagte ich voller Emotion, weil mich das so anrührte. „Ja, das kann ich ja mal machen.“ antwortete er. „Nein,“ gab ich bestimmt zurück, „das solltest Du gleich tun. Dich hat doch der Brief auch berührt. Oder? Und wenn Du lange wartest, verfliegt dieses Gefühl. Es ist doch sicher auch große Dankbarkeit in Dir, Dich daran zu erinnern, auf welch schöne Lebensgeschichten Du zurückschauen kannst.“

Nach langem hin und her setzte er sich nach dem Frühstück hin, kaute am Stift und begann dann zu schreiben.

„Ich darf ihn nicht drängen. Das muss von alleine kommen,“ dachte ich. Und im selben Augenblick schob er das Papier auf die Seite und meinte: „Nein, ich kann jetzt nicht schreiben. ich mache das später.“ – „Gut, dann mach es später,” gab ich zurück. Und dann folgte ein gemütlicher Tag wie immer mit all den kleinen und großen Beschäftigungen wie immer. Schön, heute so viele solcher Tage zu haben, die wie immer sind. Warm, gemütlich und auch sehr im Heute lebend. Das hatten wir früher nur, wenn wir alle zusammen in den Urlaub fuhren. Es war auch immer schön und besonders.

Der Tag neigte sich seinem Ende zu und wir saßen gemeinsam beim Abendessen. Da schob mir Paul einen Brief zu mir rüber. „Hier ist meine Antwort auf den schönen Brief von heute morgen,“ meinte er so nebenbei. Ich hatte mich eigentlich nun schon darauf eingestellt, dass möglicherweise der Brief unbeantwortet bleiben würde. Also klappte ich völlig überrascht das Blatt auseinander und las:

Liebe  Franzi,

ja, Du hast mich überrascht, und ich konnte mich auch wieder an Dich erinnern. Bei meinem schlechten Namensgedächtnis ist das sehr besonders und Du siehst daran, wie schön für mich auch die alten Zeiten mit Dir und vielen anderen waren.

Ich dachte, Du würdest ein bisschen über Dich schreiben. Bist Du verheiratet oder geschieden. Wir hatten uns so ganz und gar aus den Augen verloren, als ich nach Venezuela ging. Ich bin verheiratet und wir haben 3 Kinder. Und vor allem, wir sind nach den vielen Jahren harter Arbeit noch immer sehr zufrieden. Bei Gelegenheit kannst Du mal ein bisschen von Dir erzählen. Bis dahin sei herzlich gegrüßt 

Paul 

„Ich finde nicht, dass das ein schöner Brief ist, den Du geschrieben hast. Ich glaube auch nicht, dass sie viel von Dir wissen wollte. Ich glaube, sie wollte einfach nur ein halbes Jahrhundert-Gefühl für einen kleinen Augenblick zurückholen. Und Dir damit auch sagen, wie schön es damals war.“ – „Das glaube ich auch. Aber darauf kann ich heute nur noch so zurückschreiben wie ich heute empfinde. Ja, das war schön, aber schrecklich weit zurück und fast nicht mehr wahr.“ Schreib doch nur ein paar Zeilen…“ – „Mach Du das !“ – „Nein!“ – „Doch, Du kennst mich besser als jeder andere!“

„Na, gut,“ gab ich dann nach, „Du kannst es anschließend verbessern oder auch verwerfen.“

Liebe Franzi,

wie schön, eine Stimme aus dem Paradies unserer Jugend zu vernehmen. So überraschend und verbunden mit wunderschönen Erinnerungen. Ja, ich erinnere mich noch heute an das „Mariandl“, bei dem Du völlig gelöst mit mir getanzt hast. Wie waren wir glücklich in unserer Erwartung auf das Leben. Und noch so ganz in unserer Unschuld.

Ich danke Dir, dass wir beide diesen kleinen Moment der Erinnerung miteinander teilen konnten. 

In Freude Dir begegnet zu sein bleibe ich

Dein Paul – von damals 

Paul schickte den Brief so ab, wie ich ihn geschrieben hatte und keine 4 Tage später kam die Antwort auf einer kleinen Karte wie hingehuscht:

Wie schön, lieber Paul, noch immer so lieb und einfühlend wie einst. So werde ich Dich auch in meinem Paradies behalten.

Deine Franzi – von damals

Manchmal verstehen Frauen einander besser als unsere Männer uns verstehen.

Trotzdem. Alles ist gut!