Anfang der 50er Jahre hatte auch ich einige Ideen, wie ich unseren Geldbeutel mehr füllen könnte. Ich zog mich schäbig an, machte meinen Pullover ein bisschen schmutzig und zog Hosen an, die rundherum nicht passten. Dann nahm ich mein Schifferklavier und zog ein paar Straßen weiter, als unser Zuhause war, breitete eine Decke aus, genauso zerlumpt wie ich und dann begann ich zu singen. Erst ganz leise und verschämt, aber schon bald klang meine Stimme kräftiger und auch voller. Ganz allmählich fielen mir einige Lieder ein, die wir zu Hause gesungen hatten und ich begann mich wohl zu fühlen. Das Schifferklavier vor meinem Bauch saß noch nicht ganz richtig und ich musste einige male kräftig schnaufen, ehe Schifferklavier und ich richtig miteinander klar kamen.
Noch war kein Mensch vorbei gekommen, so dass ich nicht prüfen konnte, wie gut meine Stimme wirklich klang. Doch schon die erste Person schreckte mich auf und das war die Stimme meines großen Bruders, der mich scharf anbrüllte:
Hast Du noch alle Tassen im Schrank? Du sitzt hier und plärrst vor dich hin. Schäm Dich! Was sollen die Eltern denken, wenn Du hier bettelst?“
Er zog mich hoch, nahm das Schifferklavier auf den Buckel und marschierte mit mir nach Hause. Er stapfte ziemlich wütend vor sich hin und ich fragte mich, wer mich wohl verraten haben könnte.
Niemand sprach mit mir und im Laufe des Tages vergaß ich die Geschichte auch selben wieder. Erst am Abend fragte mich mein Vater, warum ich das getan hätte und meine Antwort war, dass ich auch ein bisschen Geld verdienen wollte wie meine Geschwister. „Mit Arbeit kann man das auch, aber nicht mit ein bisschen Singen,“ antwortete er. „Meine Mama hatte auch mit Singen Geld verdient,“ wollte ich gerade antworten. Doch ich stoppte, denn mir fiel ein, dass man das wohl erst studieren musste.
Ach, ist das schwer mit dem Leben. Wann ist etwas richtig und wann ist es falsch?
Wann darf man etwas und wann muss man sich dafür schämen. Eigentlich wollte ich doch nur helfen unser Leben zu verbessern. Unsere Mutter sollte nicht ewig alte Pullover aufribbeln müssen, um für den einen oder anderen Socken zu stricken, alte Kleidung auftrennen, um für die kleineren Kinder noch etwas zu nähen. Ich wollte auch nicht ewig lange kratzige Strümpfe tragen müssen und Leibchen, die genauso das Gefühl gaben, als würde man Maikäfer unter ihnen tragen, die die Haut zerbeißen. Ich wollte öfter Orangen essen, manchmal keine zu großen oder viel zu kleine Schuhe anziehen müssen, keinen ewig scheuernden Schulranzen tragen und auch schon manchmal in ein richtiges Heft schreiben dürfen. Was für eine Freude wäre es, wenn ich endlich auf eine Leinwand malen dürfte oder wenigstens Buntstifte hätte, um kleine Bildchen malen und dann verkaufen könnte.
Schluss jetzt, Ich muss erst einmal lernen, bescheidener zu werden.
Aber wie wird man das? Wie wird man das bei so vielen Wünschen?