Gracias Mama

Meine Mutter war eine sehr hübsche Frau, mit leicht gelocktem Haar, strahlend blauen Augen, klassischer Nase und fein gezeichnetem Mund.

Sie war Schauspielerin und vor allem Sängerin, was für die damalige Zeit, so in den 1920er bis 1935er Jahren durchaus etwas besonderes und anrüchiges war. Schliesslich waren die Zeiten sehr spiessig und ihre Schwiegereltern oft sehr beunruhigt, wenn sie auf der Bühne stand und mancher Bekannte sich mockierte, so ein „leichtes“ Mädchen auch nur zu kennen.

Doch mein Vater liebte sie und sein Stolz auf sie kannte keine Grenzen.

Meine Mutter war also eine sehr hübsche Frau, nur die Beine entsprachen weder dem damaligen noch dem heutigen Geschmack. Sie waren stämmig und nicht von eleganter Schlankheit. Das ärgerte sie natürlich masslos.

Das schlimmste aber war, dass sie mir diese Beine grosszügig vererbte und ich noch so viel Ballett machen konnte, meine Beine blieben so stämmig wie die meiner Mutter.

Meine Röcke konnten nicht lang genug sein, um sie zu verhüllen.

Einmal, man hatte mich gerade wegen meiner Beine so geärgert, ging ich zu meiner Mutter und klagte, warum sie mir nicht etwas besseres hätte vererben können.

„Ach,“ meinte sie, „Du bist etwas besonderes! Solche Beine hat nicht jede!“

„Ach, Mama, was soll der Quatsch? Ich finde mich scheusslich!“

„Ich erzähle Dir mal eine kleine Geschichte und die ist wahr: Die junge niederländische Königin Juliane ging durch die Stadt, um etwas zu kaufen. Das holländischen Königshaus war sehr volksnah, kaufte selbst ein und mischte sich oft unter das Volk. Viele erkannten Juliane kaum, weil sie nicht besonders hübsch oder auffällig war. Nur dicke Beine hatte sie. An jenem Tag ging sie also durch die Stadt und ein Bursche rief hinter ihr her: „Du meine Güte, was hast Du denn für Beine! Das sind ja richtig dicke Säulen!“ Da drehte sich die junge Königin Juliane zu dem jungen Mann um und sagte ziemlich laut: ‚Auf diesen Säulen ruht das Haus Oranienburg.’ Das war die Herrscherfamilie der Niederländer.

Der junge Mann errötete heftig und Juliane ging gleichmütig und stolz von dannen. Na, was sagst Du dazu?“

„Naja, die Geschichte ist schon toll, aber ich bin keine Königin und auf mir ruht sich auch nichts aus.“

„Wer weiss,“ antwortete meine Mutter, „was Du noch alles zustande bringst! Ich glaube, Du wirst uns noch manches mal überraschen.“

Als ich mein Bild „Gracias Mama“ malte, war ich schon über 65 Jahre alt und habe fast die meiste Zeit beim Entstehen des Bildes gelächelt. Immer und immer wieder dachte ich dabei an meine Mutter und die tröstende Geschichte und ich fühlte mich frei. So frei wie meine Mutter sich das immer für mich gewünscht hatte.

Gracias Mama