Heut bleibt bei uns die Küche kalt…

Großvater Paul und sein kleiner dreijähriger Enkel Paul wollten sich einen schönen Tag  machen. Sie beide ganz allein. 

Der kleine Paul war ein aufgeweckter Junge, der schon gut und klar die deutsche Sprache beherrschte. Er wollte als erstes ins Museum gehen, weil er unbedingt die Dinosaurier sehen musste, deren komplizierte Namen er sehr häufig schon richtig aussprechen konnte. Diplodocus ging ja noch, aber Lystrosaurus oder gar Eustreptospondylus bekam er ganz locker über die Lippen und für den Großvater war es schon fast eine Lehrstunde. 

Als ihre Reise durch die Saurierwelt beendet war, traten sie wieder raus in die Sonne und es war eine helle schöne Welt, die dem Großvater die traurigen Gedanken ganz schnell vertrieben, die die ganze Zeit an seinem Leben und seiner Vergänglichkeit klebten. Er konnte nicht wie der Kleine gespannt die Vergangenheit betrachten und sich dabei wünschen, einen der Saurier gezähmt zu haben. 

Sie steuerten einen Spielplatz an, weil Paul sich endlich wieder bewegen wollte. Großvater hatte inzwischen den Rucksack ausgepackt, um ein kleines Picknick herzurichten. Und es dauerte auch nicht lange, dann kam Paul angelaufen. Er setzte sich zum Großvater auf die Bank und gemeinsam wählten sie ihr Mittagessen aus.  Dabei murmelte Großvater die Worte:

Heut bleibt bei uns die Küche kalt, wir gehen in den Wienerwald.“

„Was hast Du gesagt, Großvater? War das ein Gebet?“ Und der Alte antwortete: „Nein, das war ein Spruch aus meiner Jugendzeit, als wir anfingen, knuspriges Hähnchen im Wienerwald, einem neuen Restaurant, zu essen. Die waren nicht so teuer und schmeckten uns im Gasthaus „Wiener Wald“ besonders gut.“ – „Sag nochmal den Spruch. Den will ich auch können.“ Und Großvater sagte nochmal brav: „Heut bleibt bei uns die Küche kalt, wir gehen in den Wienerwald.“ – „Gibt es den noch? Dann würde ich morgen oder übermorgen oder dann mal hingehen.“ – „Ich weiß nicht genau, ob es den Wiener Wald noch gibt, aber knusprige Hähnchen gibt es inzwischen an vielen Stellen. Du hast recht, das machen wir das nächste mal!“

Inzwischen hatte Paul es sich gemütlich gemacht und allmählich fiel sein Kopf müde auf Großvaters Schoss. Der legte vorsichtig seine Hände über die Brust seines Enkels und ließ ihn schlafen.

Seine Gedanken gingen wieder eigene Wege und er fragte sich, wann er seine Hoffnung auf so vieles verloren hatte. Schon als Kind? Oder später? Oder erst, als der Arzt ihm sagte, dass seine Zeit bald abgelaufen sei? Er konnte sich nicht erinnern, doch eine gewisse Traurigkeit war schon sehr lange in ihm. Einfach so. Und seine Tage gezählt. Das war Realität! 

Er schob die Gedanken wieder auf die Seite, wobei er bemerkte, dass eine winzig kleine Träne sich in sein Auge stahl und ihn ganz stark fühlen ließ, wie lieb er doch seinen Enkel hatte. Es lohnte sich noch eine Weile auf der Welt zu bleiben. Auch wenn die Krankheit das kaum zuließ. Trotzdem verabschiedete er sich von den unguten Gedanken, schaute auf seinen kleinen Paul, der so vertrauensvoll und hoffnungsfroh sein Leben bereicherte und schwor sich, nur das HEUTE zu genießen.

„Großvater, nun haben wir aber genug geschlafen. Ich habe gerade noch vom Allosaurus geträumt. Da gehen wir bald nochmal ins Museum. Ja? Und dann bleibt bei uns die Küche kalt und wir gehen in den Wienerwald.“ – „Ja, das tun wir. Und die Küche bleibt dann auch für uns kalt!“ Beide lachten glücklich.

Paul griff nach der Hand seines Großvaters.

Ich habe immer so ein frohes Herz, Großvater, wenn Du bei mir bist.“

„Ich auch“, antwortete der. „Bleibst Du immer mein Großvater?“, fragte der Kleine. Und der alte Paul antwortete nun mit Bewusstsein: „Auf der Erde wie im Himmel. Ich bin immer Dein Großvater!“ – „Im Himmel?“ – „Ja, wenn ich mal gestorben bin, dann bin ich tot. Aber ich werde immer und überall bei Dir sein!“ – „Das ist schön. Aber sei noch nicht so schnell tot, denn hier kann ich noch besser mit Dir spielen.“ – „Ich werde mich bemühen,“ antwortete er lächelnd. Und damit war dies Gespräch zu Ende und das Wort „sterben“ und „tot“ im Raum ohne Ängste.

Der Himmel muss warten.

Alles wird gut.