Kaffeeklatsch mit Unterberg

Kaffeeklatsch mal wieder nach langer Zeit. Für jeden habe ich versucht, das Richtige hinzustellen, was er gerne isst und vor allem auch darf! Wir sind zu viert und jeder von uns hat so seine weiblichen Problemchen.

Lange stehe ich vor meinem Kleiderschrank und schaue, was mich nicht zu dick macht und vor allem auch nicht so eng an mir runterfällt, so dass man trotz Weite immer noch alle Fettröllchen verfolgen kann. Das ist gar nicht so einfach.

Erledigt, ich bleibe bei meinem täglichen Schwarz und es ist mir egal, ob der eine oder andere sagt: „

Wie langweilig, Du immer mit Deinem Schwarz.“

Ich schaue noch einmal über den Tisch. Ja, der grüne Tee ist gleich fertig, der Kaffee für alle auch, die trockenen Plätzchen für Hanna liegen bereit und der Rest mag Salziges und das auch noch sehr trocken.

Diesmal habe ich weder Sekt noch Wein gekauft, weil das keiner mehr will oder verträgt. Jetzt noch schnell das Make-up und den Lidstrich. Und dann bin ich fertig und kein bisschen abgehetzt, denn wir wollen ja eigentlich nur ein bisschen klönen und zusammen sein wie zu alten Zeiten…

Mal sehen, wie es Marion geht, die im letzten Jahr vier Operationen hatte. Jedenfalls hat sie das gesagt. Und Trude meinte neulich am Telefon, sie würde gar nicht mehr zählen wollen, wie viele Male sie schon zusammengebrochen sei.

Na, ich will mir keine Angst machen, dass nur über Krankheiten gesprochen wird. Aber es könnte trotzdem sein…

Es klingelt, ich mache die Türe auf und Gertrude, sprich Trude, umarmt mich mit ihren 86 Jahren als erste, gleich dahinter ist schon Marion, die jüngste im Bunde. Wir hören schnelle Schritte und auch Hanna erreicht uns noch an der Türe für ihre 84 noch mit flottem Gang.

Zunächst ist die Freude groß, dass wir uns alle treffen konnten und nach herzlicher Umarmung suchen wir uns einen Platz, um zu ratschen, wie der Bayer so gern sagt. „Fühlt Euch wie zu Hause,“ sage ich noch und schon ist jeder dabei, sich mit dem zu bedienen, was er mag. Und das war immer typisch für uns. 

Marion schaut mich wie stets ziemlich genau an und meint dann: „Sag mal, du produzierst am laufenden Band neue Falten. Wie machst Du das bloß?“ Ehe ich antworten kann, drehen sich alle zu Marion um und schauen sie an: „Na, werd Du erstmal 84,“ sagt dann Hanna ganz bedächtig,

Du bist die Jüngste in diesem Kreis, aber man sieht es nicht.“

Marion wird sauer. „Ich habe noch nicht viele Falten,“ meint sie dann.“ Hast Du nicht gesagt, dass Du letztes Jahr 4 Operationen hattest? Erst waren es die Augen und wir dachten, es wäre der graue Star bei Dir gewesen. Aber wie man sieht, waren es Deine Tränensäcke. Und die anderen OPs?“ Hanna legt befriedigt los und Marion ist eingeschnappt.

„Wenn Du viel lachst, dann hast Du viele Falten um die Augen und den Mund. Wenn Du wie Christine Kaufmann aber keine Miene verziehen willst, hast Du keine Falten und kriegst auch so schnell keine. Aber willst Du leben oder schon tot sein?“, mosere ich.

„Ach, hört doch alle mal auf mit dem Quatsch über graue Haare zu sprechen oder Glatzen, über Falten oder fette Bäuche etc. Das Leben meint es doch noch ganz gut mit uns. Wir müssen nicht hungern, wir haben nur kleine Krankheiten, haben bis auf Marion die 80 überschritten und gönnen uns noch diese oder jene schöne Reise.“, lächelt Trude. „Erzählt lieber ein bisschen über Eure Familien und ob alle wachsen, blühen und gedeihen.“ — „Ja, da hast Du recht.“, nicke ich ihr zu. 

„Doch ich wollte heute eigentlich nicht kommen, weil bei uns zu Hause großes Theater ist. Einer unserer Enkel hat geklaut!“ — „Das ist ja Assi. Da ist unser Enkel mit zwei Fünfen in Mathe und Englisch ja noch gut dran.“ — „He, meine drei haben glänzende Noten in der Schule. Da bin ich ganz stolz. Aber der Nachhilfeunterricht ist ganz schön teuer!“, gibt Hanna zu.“ Du meine Güte, was sollen sie denn mal werden und vor allem, was wollen sie denn mal für Berufe ergreifen?“, fragt Trude dazwischen.

„Naja, Jura sollte der Junge schon studieren können und die Enkelin will Ärztin werden. Doch die schafft das nur, wenn irgendwann der Numerus Clausus wegfällt. Sonst  muss sie eben kleine Brötchen backen,“ meint Hanna.

Aber sagt mal, sollten sie denn nicht auch mal glücklich werden dürfen“,

fragt Trude. „Ich wollte damals so gerne Tierärztin werden. Aber so gerne nahm man noch keine Mädchen. Doch ich verlor mein Ziel nicht aus dem Auge und arbeitete erst einmal bei einem Tierarzt. Danach schaffte ich es und es wurde mein Traumberuf bis ins Alter.“ 

„Ja, aber warum brichst Du jetzt so oft zusammen,“ frag ich. „Da hast Du recht, das weiss ich nicht. Ich glaube, ich hätte noch länger arbeiten sollen. Dann denkt man über diesen Quatsch nicht nach.“

Eine kleine Pause und dann sagt Marion: „Ihr habt so recht mit all diesen
Äußerlichkeiten. Ich hatte mich Ende des Jahres bei einer Zeitschrift beworben, um als Model zu arbeiten. Man suchte eine gutaussehende, wenigstens siebzigjährige. Und da dachte ich, das wäre was für mich. Darum machte ich meine vier OPs, das heißt die Tränensäcke kamen weg, am Hals ließ ich die labbrigen Hautfetzen, die dort hingen, wegschnipseln und den Rest ließ Botox verschwinden. Am Hals hat man mir zu viel Haut weggeschnitten, sodass ich beim Drehen und Wenden immer Schmerzen kriege. Dass meine Augenbraue herunterhing, hat sich wieder gegeben. Aber die Zornesfalten krieg ich nur mit Botox weg oder man muss schneiden.“ Sie schöpft Luft und fährt dann fort: „Aber genommen hat man mich nicht, weil mein Gesicht nicht locker und lebendig genug ist und fotogen bin ich auch nicht. Und jetzt, wo ich Euch alle gehört habe, schäme ich mich, weil ich so dummes Zeug geredet und getan habe. Mein Leben ist leer, denn ich habe nur einen geschiedenen Mann und sonst gar nichts mehr.“

Aber Du hast doch so viele prominente Freunde!“,

werf ich ein. „Ach die, die sind nicht besser als ich! Immer nur den Fokus auf sich selbst gerichtet. Das kann man kaum aushalten!“ — „Na, und nun?“ — „Ja, jetzt brauche ich einen Schnaps auf dieses Geständnis!“, gibt sie dann schüchtern zu.

„Ich habe aber keinen Wein und keinen Sekt mehr, weil ihr alle sagtet, dass Ihr keinen Alkohol mehr trinken wollt. Ich kann Euch nur Unterberg anbieten. Den trinke ich manchmal, wenn ich leichte Magenschmerzen habe.“ — „Her damit,“ sagt Trude, „das ist genau das Richtige. Wir müssen das alle erst mal verdauen.“ Ich hole die eingepackten Fläschchen und wir prosten uns herzlich zu.

„Wir jammern über kleinere und größere Wehwehchen, wir jaulen über unsere Enkel, dabei  gibt es nichts besseres als Enkelkinder, wir beklagen unser Aussehen, dabei stellen wir fest, ‚das macht das Leben mit uns‘ und natürlich auch unsere guten oder schlechten Gene, es gibt wieder Krieg und in einem solchen wollen wir nicht untergehen und unsere Familien erst recht nicht. Die möchten noch viel erleben.“, sagt nun Trude als letzte wieder.

„Aber wir haben diesmal nicht wirklich über Krankheiten gesprochen,“ füge ich hinzu.

„Also auf das Leben und noch einen Unterberg,“ ruft unsere älteste und wir fallen uns alle in die Arme.