Dies ist nun endlich der letzte Teil der Geschichte „Am Ende der Welt“. Hier geht es zum Anfang.
Nachdem die Reise zum „Ende der Welt“ für eine eigentlich unproblematische Operation fast zu einem Desaster geworden war, machten wir uns nach der glücklichen Heimkehr nach Hause viele Gedanken über Leben und Tod.
Zu Hause fingen wir an zu überlegen, wie unsere Grabstelle aussehen sollte. Ich meinte nur, „Das Ende der Welt haben wir hinter uns. Jetzt ist der Himmel auf Erden dran.“ – „Du hast so recht,“ seufzte mein Mann und sagte dann, „es ist das erste Mal, dass ich Lust habe, auch etwas zu gestalten. Wollen wir vielleicht einen Engel auf die Platte stellen?“ – „Das meinst Du nicht wirklich,“ gab ich zur Antwort.
Ich weiß nicht,“ kam wieder von seiner Seite, „alles war doch eigentlich so ein Wunder, als wir beide die gleichen Gedanken, die gleichen Ideen und diese komischen Halluzinationen mit Geistern, Engeln, weißen Kaninchen oder Ratte hatten. Und irgendwas haben wir doch gesehen oder gespürt.“ – „Ich glaube, wir sind einfach nur froh, wieder zu Hause zu sein, um endlich das zu tun, was schon längstens gemacht sein sollte. Und nun hat uns beide die Freude gepackt. Den Schwung wollen wir ausnutzen um Stein, Kreuz und Bank möglichst bald auszusuchen.“ – „Klar hast Du recht. Ich glaube ja auch nicht wirklich an den Weihnachtsmann. Aber irgendwie bin ich beflügelt.“ –
Haha, dann bist Du der Engel,“
lachte ich und dann machten wir uns an die Arbeit.
Wir dachten lange über einen Findling nach, auch der Engel wurde dann nochmal in Erwägung gezogen. Schließlich zogen wir uns an und fuhren mit dem Bus nochmal zu unserer Grabstätte.
Ich weiß, es kann kein Mensch glauben, was ich jetzt schreibe, denn auf dem Weg bin ich richtig gestolpert und fast hingefallen. Da sagte mein Mann: „Du bist über unseren Grabstein gestolpert.“ – „Hier ist doch der Weg,“ meinte ich, „keine Urnengräber sind hier oder Grabsteine.“ Sein Finger zeigte auf eine Steinplatte. Eine der Platten auf dem Wege sah aus als habe man sie hingeworfen und sie sei dabei gebrochen. Das sah richtig toll aus. Ein Stück war abgebrochen und lag ein bisschen verrutscht wie ein Puzzleteil im Raum.
„So könnten wir unser Urnengrab gestalten.“ Als wir den Steinmetz besuchten, zeigten wir ihm das Foto, das wir von der Platte gemacht hatten. Und er fand es auch ganz toll. Also wurde noch der Stein ausgesucht und die Schrift für den Familiennamen. Endlich erledigt. Wir seufzten sehr zufrieden.
Wir hatten uns wochenlang mit dem Tod und dem Leben beschäftigt. Ein schwieriges Thema. Doch wir zwei erlebten so viel Spaß wie nie. Wir saßen eines Tages gemeinsam auf der Bank, riefen unsere Freundin an, die an jenem Tage Geburtstag hatte und luden sie ein, zu unserer Bank zu kommen. „Heute? Und auf den Friedhof?“ Sie kam, und wir empfingen sie mit einem Glas Sekt zu ihren Geburtstag. „Wir müssen doch unseren Platz für die Ewigkeit einweihen. Warum nicht?“
Ein anderes mal trafen wir uns, um die Bank zu streichen und genossen zu dritt ein Picknick. Das nächste mal werden wir ein Familientreffen arrangieren, wobei wir mit Hilfe der Kinder und Enkel die Bank besser schleifen werden als beim ersten mal, da sie das kraftvoller können als wir Alten.
Und am liebsten wäre uns, wenn einer unserer Söhne die Gitarre mitbringen würde, damit wir alle dort singen könnten. Machen wir uns die Engel gewogen. Mit einem Lächeln und himmlischer Musik.
Als endlich auch unser Name auf der Platte stand, fühlten wir uns unbesiegbar, als hätten wir den Tod überwunden. Noch einmal fuhren wir hin, um einen kleinen Kranz drauf zu legen wie man das auch bei einem Richtfest macht.
Mein Mann bückte sich und hob zwei Federn auf, die aus der gebrochenen Ritze der Platte halb rausschauten. Weiße Federn? Weiße Federn von einer Taube vielleicht? Wir sahen uns an und konnten es nicht glauben. Eine kleine lange Weile sagten wir nichts.
„Weißt Du,“ murmelte mein Mann dann, „mir ist eigentlich egal, ob das echt ist oder ob uns irgend jemand einen Streich gespielt hat oder unsere Geschichte witzig fand und dann die Federn in die Erde steckte. Für mich haben die Engel ‚ja‘ gesagt und der Himmel ist einverstanden.“ – „Wir waren am Ende der Welt und noch viel weiter und jetzt sind wir wieder auf der Erde gelandet. Jetzt leben wir erst einmal wieder,“ meinte ich nur.
„Gut, dann melde uns beim nächsten Tanzkurs an!“, war seine Antwort.