Oma geht—der Himmel wartet.

Unsere Mutter wurde 93 Jahre alt. Unsere Kinder nannten sie Oma Schnecke, weil sie von Hinten die Haare so aufgedreht hatte wie bei eine Schnecke.

Als unser Vater starb, war sie 48 Jahre alt, hatte 5 Kinder und eine Zukunft, die alles andere als gesichert war. Aber sie rockte alles, so würde man heute sagen. Sie war todtraurig, dass es unseren Vater nicht mehr gab. Und zunächst fürchteten wir, sie würde diese Trauer nicht überstehen. Doch dann fasste sie wieder Mut, schüttelte sich und es war unvergleichlich wie sie wirklich das Leben mit uns und später auch das Leben ohne uns bewältigte. Meinen Vater hatte sie dabei immer in ihrer Nähe und ich weiss nicht genau, wie oft sie sich gewünscht hätte sie wäre da, wo er schon war.

Sie musste 45 Jahre warten, ehe sie sich auf den Weg machen durfte ihn wieder zu sehen. Wir alle sind froh, dass sie endlich dort angekommen ist, denn die Zeit dazwischen ohne ihn war lang. Aber sie hat diese Zeit gerockt. Ich habe dieses Wort noch nie so gerne gebraucht, denn erst heute, als fast 80 jährige, weiss ich, was sie geschafft, geleistet und gelebt hat. Mit dem Abstand der Jahre würde ich sagen, sie war sogar eine richtige Rockerbraut, wagte alles mit meinem Vater, liebte schon damals das Unkonventionelle, auch wenn die Rockmusik noch nicht erfunden oder bei uns angekommen war. Es fehlte nur noch das Motorrad… Statt dessen machte sie den Führerschein für einen Lastwagen, als erste Frau der Stadt. Mein Vater musste ihr eine Erhöhung bauen, damit sie gut aus dem Fahrerfenster rausschauen konnte. Und da sie Gesang studiert hatte, begleitete sie immer die Musik. Natürlich war es keine Rockmusik. Hier muss es reichen, wenn ich sage, sie sang… „wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt…“—und wir sangen später „unser Oma fährt im Hühnerstall Motorrad.“

Mein letztes Bild ist immer mein Lieblingsbild. „Oma geht—der Himmel wartet.“