Als ich entlasse wurde aus dem Krankenhaus, war ich sehr dankbar, dass ich wieder sehen konnte. Ich musste versprechen, innerhalb der nächsten 3 Tage meinen Augenarzt aufzusuchen, der nochmal nachschauen sollte, ob sich alles weiter so gut entwickeln würde.
Gemeinsam mit meinem Mann ging ich siegessicher in die Praxis und ich erlebte dort das Gegenteil von “Alles ist gut!” In meinem Auge war noch immer irgendwo ein Loch. Ich dachte, der Arzt habe das wohl fehlinterpretiert. Aber nein, selbst nachdem er 4 oder 5 mal das Auge untersucht hatte, blieb er dabei und schickte uns nochmal zum Krankenhaus zurück.
Na, haben Sie noch immer Sehnsucht nach uns,“
fragte mich der Dozent und ich gab zur Antwort: „Da ist noch immer etwas nicht in Ordnung!“ und dann schob ich ihm das Blatt Papier zu, was ich mitbekommen hatte.
Er schwieg einen Augenblick, um aber sodann sofort die Untersuchung zu beginnen und sagte nur: „Donnerwetter, gute Arbeit vom Kollegen. Er hat recht. Da muss ich mir was einfallen lassen.“ Dann bat er die Assistenzärzte nachzuschauen, ob sie in meinem Auge etwas entdecken könnten und alle drei meinten: „Nein, alles okay!“
Mein lieber Doktor war enttäuscht, dass seine Ärzte nichts finden konnten und er erklärte es ihnen, worauf sie sich alle drei nochmal auf mich stürzten, um mein Auge ein weiteres mal zu quälen.
Ich kann Sie nicht nochmal operieren,“
meinte mein Arzt inzwischen zu mir, „aber wir werden etwas probieren. Ich könnte mir denken mit Ihrer und der Hilfe Ihres Körpers und auch meiner Hilfe werden wir Erfolg haben und das Loch schließen. Unser Körper ist so ein Wunderding und schafft viel. Schauen wir mal.“
Und dann erklärte er mir, was ich zu tun hätte. „Sie bleiben jetzt so lange bei uns, bis das Loch zu sein wird. Und das geht folgendermaßen: Sie werden den ganzen Tag auf Ihrer linken Seite liegen und nur zur Essenszeit oder wenn Sie mal zur Toilette müssen aufstehen. Das machen wir jetzt so lange bis das Loch zu ist.2 Er lächelte mich an und meinte beim Rausgehen noch: „Ich habe doch gesagt, auch der Körper von Munch hat Wunder vollbracht, denn sein Auge hörte einfach eines Tages auf zu bluten und alles wurde wieder gut. Das machen wir jetzt so mit dem Loch!“
Also legte ich mich auf die linke Seite, einer meiner Söhne brachte mir viele Sherlock Holmes-Geschichten mit, die ich mit Ohrstöpseln gut verstehen konnte und stand nur auf, wenn ich durfte. Jeden Tag allerdings blickte mir mein Doktor ins Auge, schüttelte jedoch immer wieder den Kopf und schickte mich zurück in mein Bett und zu Sherlock Holmes…
So ging es den ersten Tag, den zweiten Tag, den dritten Tag, den vierten Tag, um mir am fünften Tag dann aber zu sagen:
Packen Sie Ihre Sachen. Sie dürfen gehen. Ihr Körper und wir beide haben ein Wunder vollbracht.“
„Gucken Sie schnell nochmal rein,“ bat ich ihn, „damit ich es wirklich glauben kann.“ Das tat er tatsächlich und entließ mich anschließend mit befriedigendem Lachen.
Als ich mich eine Stunde später verabschieden wollte, hatte er mir ein kleines Päckchen fertig gemacht mit der Aufschrift: AUGEN. Dazu reichte er mir ein Buch über die Augen berühmter Maler und meinte: „Ich will nur das Buch wieder haben. Die CDs und die übrigen Texte sollen Ihnen viel Spaß machen. Sie als Malerin werden das bestimmt genießen, was Sie da über Ihre Kollegen lesen können.“ Sprachs, schüttelte mir die Hand und sagte dann nochmal:
Gute Gemeinschaftsarbeit. Oder?“
und dann ging er schnell davon, als habe er sich schon zu lange bei mir aufgehalten.
Noch immer wache ich jeden Morgen auf und kann es nicht fassen, dass ich wieder mit beiden Augen sehen kann. Nur das linke Auge mit der künstlichen Linse zeigt die Farben etwas krasser als die natürliche. Aber was soll das? Ich habe wieder zwei sehende Augen.
Mit 70 Jahren nochmal die Welt neu zu sehen ist ein Geschenk. Ich halte die Bilder fest, die ich sehe, male und zeichne wieder – bin nicht mehr niedergeschlagen, weil ich nicht die Genialität eines Monets, Degas oder Matisse erreichen kann, sondern genieße es, dass mir die Malerei die Freiheit gibt, ausbalanciert zu sein und keinem Psychiater zu brauchen.
Alles ist wieder gut.
Wenn Ihr wissen wollt, was er mir zu lesen mitgegeben hat, schaut das nächste mal in meinen Blog.
