Heute morgen hat es gefroren und ich kann gar nicht so genau sagen, warum ich gerade deswegen an meine Mutter dachte. Vielleicht, weil es so eisig war und ich mich auch heute noch immer an diese kalte Jahreszeit unserer Kindheit erinnern kann.
Zum Beispiel, wenn sie die Wäsche kochen und waschen musste, war es besonders schwierig, wie sie getrocknet werden konnte. Unsere Küchenfenster waren zugefroren und wir malten immer viele Blumen und Sterne ins Eis. Oder wir hauchten die Scheibe an, damit das Eis schmelzen sollte.
Es war 1950 und wir waren gerade wieder in die Stadt zurückgekehrt. Der Krieg war vorbei und mein Vater hatte unser Haus mit Freunden wieder einigermaßen aufgebaut.
Wir wohnten im ersten Stock. Vor dem Küchenfenster hatte mein Vater für die Wäsche eine Leine mit einer Rolle angebracht, die auf der gegenüberliegenden Seite an einem dafür eingebuddelten Pfahl eine weitere Rolle hatte, über die die Wäscheleine gezogen werden konnte. Und wenn Waschtag war, wurde die nasse Wäsche dort aufgehängt und man konnte so die ganze Leine gut ausnutzen und sehr viel aufhängen. Dafür musste sich meine Mutter aber jedes mal weit aus dem Fenster lehnen, wenn es größere Teile waren, die trocknen sollten. Am Ende war die Leine schwer zu ziehen, wenn die nasse Wäsche aufgehängt war. Aber zufrieden schaute sie die Leine entlang und freute sich jedes mal, wie schön und praktisch ihr Mann das ganze eingerichtet hatte. Und wir waren froh, dass sie nicht aus dem Fenster gefallen war. Unsere Mutter war nur 1.60 Meter groß.
Die Hilfe meiner Mutter war eine sehr nette Frau, die ihr im Haushalt überall zur Hand ging, wo sie gebraucht wurde.
Frau Fröber!
Sie war klein, hatte einen Buckel, eine lange Nase und nicht mehr alle Zähne. Sie sah aus wie eine Hexe und war die netteste und liebste Frau, die man sich denken konnte. Niemand durfte etwas Schlechtes über sie sagen und schon waren wir Kinder bereit, uns mit dieser Person zu prügeln. Also war man vorsichtig und ließ es bleiben uns Kinder herauszufordern.
Sie half unserer Mutter auch bei der Wäsche. Ich erinnere mich wie sie das Waschbrett immer in die Wanne stellte und dann die Wäsche schrubbte. Weil sie aber so klein war, stieg sie dabei jedes mal auf einen Hocker. Dann konnte sie noch besser rubbeln. Einmal hat sie dabei so gelacht und rum gewackelt, dass die Wanne umfiel. Es war zu komisch, denn sie lachte weiter, meine Mutter auch und gemeinsam wischten sie das Wasser vom Boden auf.”
Eines Tages passierte das, was weder meine Mutter noch Frau Fröber jemals gedacht hatten: Der Pfahl, der die total volle nasse Wäsche trug, brach zusammen und die saubere Wäsche fiel in den Schmutz von Hof und Trümmerfeld. Das war schlimm und für einen Augenblick war der Glaube meiner Mutter an den klugen Ehemann gebrochen, dass der Pfahl jedes Gewicht aushalten würde, ehe sie sich wieder fing und meinte:
Ja, die Leine war zu voll gehängt!”
Während sie noch immer erschüttert die Misere betrachtete, fing Frau Fröber schon an, die Wäsche vom Hof aufzulesen und unsere Mutter eilte ihr nach. “Die ist ja gar nicht schmutzig,” jubelte Frau Fröber, „die Erde ist so hart gefroren, dass die Wäsche höchstens ein bisschen kleben bleibt.” Sprachs und huschte mit ihrem kleinen Körper und den großen Wäschebergen die Treppe rauf und runter, um noch zu retten was zu retten war. Und am Ende wurde die noch feuchte Wäsche in der ganzen Wohnung aufgehängt, so dass man sich kaum noch rühren konnte.
Ja, das sind noch immer viele Gedanken an meine Mutter. Und sollte es nachher noch schneien, dann werde ich es ihr nachmachen und versuchen die ersten Schneeflocken mit der Zunge aufzufangen. “So kalt schmeckt der Winter,“ sagte sie damals, “doch eine Wohnung muss warm sein.” Dafür sammelte sie oft mit uns Kindern Holz wo immer es welches gab.
Es war heute morgen alles gefroren, aber nun regnet es schon wieder und ich kann die Schneeflocken nicht schmecken. Und meine Mutter ist auch schon lange nicht mehr unter uns.
Damals gabs viel Hunger, Kälte, Armut und Leid.
Heute gibts Corona… Alles wird gut?
