Nachdem ich nun schon mehrfach zu den kranken Augen der Maler einiges erzählt habe, möchte ich heute über den Maler schreiben, der mein Lieblingsmaler auch heute noch ist und dem ich ein Bild gewidmet habe als er starb. Nicht, dass das Bild so toll gewesen wäre, aber es war mir so wichtig, ihm noch einmal meine Gedanken, Gefühle und die malerische Gestaltung dazu gewidmet zu haben.
Wer ist dieser Maler?
Russe, jüdisch, geboren etwa am 24. Juni 1887, der später in der ganzen Welt bekannt wurde als Marc Chagall. Seine Familie war groß, er hatte 9 Geschwister, doch die Eltern konnten die Kinder ganz gut ernähren, da sie beide mit Lebensmittelverkauf und Fischfang ihr Geld verdienten.
Marc, der mit bürgerlichem Namen Moshe Segal hieß, stotterte und so steckte sein Vater ihn in eine Gesangschule, wo er das Stottern überwinden sollte. Neben dem Jüdischen konnte er auch russisch lernen, bekam Geigen- und Malunterricht und durfte später bei einem Maler, der an der Kunstakademie in St. Petersburg studiert hatte, das Zeichnen lernen. Das waren also kluge Eltern für die damalige Zeit, die vermutlich früh bei ihrem stotternden Sohn ein großes Talent entdeckten. Seine spätere Frau stand ihm öfter Modell und Chagall malte sie nackt wie Gott sie schuf.
Als die Mutter dies entdeckte, musste er das Bild übermalen. Und Chagall nannte das Bild dann “Das Begräbnis”.
Er fing langsam an Geld zu verdienen und zog später nach Paris, weil man ihm erzählt hatte, dass russische Maler sehr geschätzt wurden. Er lernte in Montparnasse viele Maler und andere Künstler kennen wie Modigliani, Kadinskyi oder Apollinaire, probierte sich in dieser Zeit in einigen Kunstrichtungen aus und vermischte sie mit seiner eigenen, die noch viel an Russland erinnerte. Er spielte mit kräftigen Farben und erprobte sich im Kubismus. Und schon da spürte man den anderen, neuen und alten Chagall.
Seine Bilder wurden surrealer, was 10 Jahre später auch Surrealismus genannt wurde. Das gab Chagall erst die Freiheit ganz er selbst zu werden.
Als er nach Russland zurückkehrte, verlor sich seine Poesie in den Bildern wieder und es folgten realere Darstellungen der Zeit, als Lenin neues Gedankengut in die Köpfe der Menschen brachte.
Der erste Weltkrieg hatte überall seine Spuren hinterlassen…
…und viele Menschen litten Hunger. Chagall gründete eine Akademie der schönen Künste, die er aber wieder aufgab, als sein Malerkollege Malewitsch einen anderen Zeitgeist kreierte. Chagalls lebensfrohe Malerei passte nicht in diese abstrakte Zeit und in die offizielle Ideologie. So brach er mit seiner Familie wieder auf und zog nach Berlin, wo sein Galerist Bilder von ihm verkauft hatte, um ihm etwas Geld zukommen zu lassen. Doch das war in dieser Zeit der Inflation nicht mehr viel wert. Also zog er erneut weiter nach Paris, wo man ihn wieder mit offenen Armen empfing. Es entstanden fröhliche Gouachen, eine Technik mit Farbe und Wasser und er illustrierte Fabeln von La Fontaine und “Die toten Seelen” von Gogol. Erste Ausstellungen in New York folgten nun und so konnte er mit seiner Familie besser leben.
Da es in Deutschland einen Wandel gab und die Zeichen auf Sturm standen, die Juden verfolgt wurden und das Leben unerträglich schien, kehrte er endgültig für lange Zeit Europa den Rücken. Er traf viele seiner Malerfreunde in Amerika und er schaffte dort wunderbare Wandbilder, Deckengemälde und Keramiken, er entwarf Bühnenbilder und Kostüme für ein Ballett und seine Kunst erstrahlte.
Als seine Frau Bella an einer Virusgrippe starb, verfiel er in Depressionen. Sie war die Frau, die ihn immer sehr inspiriert hatte.
Eine neue Beziehung zu einer Frau fand er ein Jahr später, seine Lebensgeister erwachten erneut und er wurde wieder kreativ Er stattete „den Feuervogel“ von Strawinsky aus und suchte weitere Felder, auf denen er gestalten konnte. Dann endlich hatte er auch wieder überall in der Welt seine Ausstellungen. Als habe man auf ihn gewartet, erlebte er mit seinen farbig wunderschönen Bildern für sich selbst eine Wiedergeburt. Als er dann später Walentine kennen lernte, genannt Wawa, und heiratete, nannte er sie seine” himmlische” Frau.
Chagall starb 1985 mit 97 Jahren. Drei Tage vorher hatte er noch den Pinsel in der Hand.
Er hat so viele Werke hinterlassen, seine Gouachen waren zahllos, so wie auch die Ehrungen und Würdigungen endlos und seine Spuren überall. Einer der ganz Großen des 20. Jahrhunderts.
Seine Kunst ist zeitlos. Und wenn man sich so manches seiner Bild anschaut, kann man sie erleben als Traum, als Poesie, als Liebe an das Leben, aber irgendwie sind die Bilder dennoch geerdet.
Und es überrascht, wenn dort irgendwo ein wunderschöner Blumenstrauß gemalt ist und du entdeckst klein und winzig gemalt ein Liebespaar darin. Dichtung und Wahrheit, Du hast die Chance für alles, Fische, die Violine spielen, er gibt ihnen mit der Geige Töne, diesen stummen Fischen, oder Kühe liegen auf dem Dach, so ganz einfach, er hat alles aus seiner Welt gesammelt und fabuliert wie er es gerade nicht erdacht hat. Es war einfach in seinen Gedanken und musste gemalt werden.
Ich habe mal lange im Guggenheim Museum in New York vor einem seiner Bilder gestanden und es sehr nah ansehen dürfen. Da war kein Bleistiftstrich wegradiert, kein Farbtupfer korrigiert und dennoch war es ein wundersames Zusammenspiel von Freude und Farbe, wo auch der Bleistiftstrich seinen Platz hatte.
Noch erwähnen möchte ich, dass er die Bibel wundervoll illustriert hat und die vielen Kirchen und Synagogenfenster, die er gestaltete, sind von großer Strahlkraft. Seine Frau Wawa hatte ihm nach dem Tode seiner ersten Frau so gut getan, dass er immer wieder neues schaffen konnte. Sogar zur Dokumenta lud man ihn dreimal ein. Ja, seine Kunst – ewig zeitlos.
Ich bin ein Maler und sozusagen ein unbewusster bewusster Maler. Es sind so viele Dinge in der Kunst, für die schwer Schlüsselwörter zu finden sind. Aber warum eigentlich muss man unbedingt diese Türen öffnen? Manchmal scheint es, dass sie sich von selber öffnen ohne Anstrengung, ohne überflüssige Worte.“
Marc Chagall
Ich finde am schönsten, sich diesen Bildern einfach nur zu öffnen. Egal, ob man das Bild versteht oder nicht. Es braucht keine Übersetzung. Und Chagall lässt es auch einfach geschehen.
Ich bin sicher, Ihr alle kennt viele Chagall-Bilder. Nicht jeder wird sie mögen. Aber mancher wird vielleicht nur einen kurzen Blick drauf werfen und sich dann irgendwie gut fühlen.