Zwei Rosen für die Nachbarin

Soll ich Rasen mähen oder nicht?

Der Rasen ist inzwischen eine Wiese mit tausenden von Gänseblümchen.Die Don’t-Forget-Me-Blümchen blühen nochmal mit letzter Kraft und der Löwenzahn macht sich dick und fett, so dass man die Blätter nicht mehr gut essen kann, weil sie hart und bitter sind. Die Wiese meiner Kindheit liegt vor mir ausgebreitet, die letzte Heide lockt noch ein paar torkelnde Hummeln an,Rosmarin und Dill duften, während ich meine übrigen Kräuter begutachte. Der erste Sauerampfer schmeckt schon sehr erfrischend und säuerlich, gut für eine grüne Sosse mit Pellkartoffeln.

Die Pimpernelle strotzt inzwischen vor Kraft.

Die Sonne spiegelt sich im Teich und ich sehe schon das Gedränge der Seerosen mit großem Vergnügen. Wenn ich an einigen Stellen ins Wasser sehe, so tanzen dort die Kaulquappen um die Wette. Der Teich ist abgedeckt mit einem sehr stabilen Gitter, auf das sich unsere Enkelkinder setzen, stellen, legen, um die Tiere Jahr für Jahr im Wasser zu beobachten. Unsere beiden alten Frösche müssen sich sehr schlank machen, um durch die Gitter nach draußen zu springen. Irgendwie gelingt ihnen das auch immer wieder nach dem Motto. „Übung macht den Meister.“

Unser Hund liegt zufrieden in all der Schönheit und bewacht sein Reich.

Unter meinem Tausend Jahre alten Kranz, der in der Veranda hängt, hört der Futterkorb nicht auf zu schaukeln, denn Meisen, Rotkehlchen, Braunellen, Kleiber und Amseln füttern ohne Ende ihre Brut und nur die drei kleinen neuen Eichhörnchen stören die Fressidylle.

Über den Zaun schwappen die schönsten Rosenblüten unseres Nachbarn. Doch leider nicht sehr lange, denn just in dem Augenblick donnert ein harter Fußball mitten in die Pracht und zerstört wirklich das Bäumchen.

Die spielenden Kinder sind plötzlich vom Spielplatz direkt hinter dem Zaun verschwunden, unser Nachbar nicht schnell genug, weil er Ohrfeigen verteilen wollte und unser Hund macht nur dreimal „Wuff, wuff, wuff“.

Ich entscheide mich gegen das Rasenmähen und ziehe mich zum Lesen in meinen Korb zurück.

Ein kleiner Junge kommt zum Zaun gelaufen und winkt mir zu: „Kannst Du mir helfen?“

„Was möchtest Du denn?“

„Ich möchte mich bei Deinem Nachbarn entschuldigen, weil ich den Ball in seinen Garten geschossen habe!“

„Ach Du liebe Zeit! Du warst das?“

„Ich weiß, ich habe die Blumen kaputt gemacht. Mama hat gesagt, ich müsse die Verantwortung übernehmen.“

Ich bin entzückt über Mutter und Kind und sage spontan: „Ja, ich komme mit Dir. Mal sehen, was Herr Schneider zu sagen hat.“

Wir gehen zusammen zu seiner Haustür und ich hoffe inständig, dass er mich zuerst ansieht, damit ich ihm signalisieren kann, dass er ein weiches Herz haben möge.

„Herr Schneider, unser kleiner Freund möchte Ihnen etwas sagen!“

„Warst Du etwa…..“ will Herr Schneider gerade loslegen. Aber er verstummt, denn unser kleiner Freund sagt ihm aufgeregt und schnell: „Ich muss Verantwortung übernehmen, hat Mama gesagt.“

Entschuldigung, dass mein Ball Ihr Bäumchen kaputt gemacht hat. Ich will das wieder gut machen!“

Bin ich froh, wie ein weiches Lächeln über Herrn Schneiders Gesicht geht.

„Komm mit, wir wollen uns den Schaden mal ansehen.“

Fast alle Zweige waren weggebrochen und Herr Schneider zeigt dem Kleinen, dass er nun das ganze Bäumchen runterscheiden muss.

„Eine Rose für Deine nette Nachbarin und eine für Deine Mama“ sagt Herr Schneider und drückt mir die eine und Tim die andere Rose in die Hand. Achtung Dornen.

„Wie heißt Du eigentlich?“

„Ich bin Tim!“

„Also Tim, ich schneide die Rose so zurecht, dass sie sich hoffentlich wieder erholen kann. Dazu hat sie nun den ganzen Sommer Zeit. Und Du besuchst mich nun jede Woche einmal, damit wir gemeinsam sehen können, ob sich die Rose wieder erholt. Und bring ruhig mal Deine Mama mit. Die hat noch eine zweite Rose verdient.“

„Das sage ich ihr. Aber warum kriegt sie noch eine zweite Rose?“

„Ich glaube, das weiß sie schon. Frage sie mal!“